Brecht-Weill-Koch 1927 Oder: Die „Verjudung“ der Heimat
Teil 2: Karlsruhe und Emil Sutor
„This memorial is very prominent on a major crossing on the main road through town of Forbach (Baden). It faces the train station such that it is the first impression one has of the town upon arrival. The memorial was being built when the Second World War broke out. It was designed and built 1939 by the sculptor Sutor from Karlsruhe and completed in 1941 “. Badischer Beobachter, Karlsruhe, 4. Januar 1933:
Emil Sutor: Mutter mit Kind (1939) Das Mutter-Denkmal von Donaueschingen, »in ganz Deutschland einzig«, »versinnbild- licht in einem Brunnen […] die Tugenden der deutschen Frau als Hüterin der Unsterblichkeit der Nation […].« »Der Würfel ist der Standort einer überle- bensgroßen bronzenen Gestalt, eine jugend- liche deutsche Mutter, die ihr Kind in Armen trägt. Die ganze wundervolle Haltung der Figur, die Schönheit ihrer Linien, der stolze Blick und die edeln Züge gehören einer deutschen Frau. Man ist ergriffen vom Rhythmus der Linien des Kunstwerkes, das zu den Meisterstücken seines Schöpfers, des Bildhauers Emil Sutor-Karlsruhe, gehört. Die Gesamheit des Brunnens wächst harmo- nisch aus seinem schönen Standort heraus und man empfindet es beim ersten Blick als in seinen Raum gehörig. […] Aus dem Werk spricht klar und groß der Stil des Dritten Reiches. Nichts madonnenhaftes haftet dem Ausdruck der schönen Züge dieser Mutter an. Es ist der bewußte von reinem Glück er- füllte Stolz, der das aufrecht in die Welt bli- ckende Antlitz veredelt. « Badische Presse, Beilage: Badische Chronik, Karlsruhe, 18. Juni 1939
»(Donaueschingen) Die Mutter- Skulptur bleibt für weitere zwei Jahre im Käfig. Das Werk der Stuttgarter Künstlerin Chris Nägele, das die 1939 geschaf - fene Skulptur seit 2009 tagsüber in einen Stahlkäfig und nachts in ein blaues Neonlicht hüllt, ist nicht unum - stritten. Dennoch haben die Stadt und das Museum Art Plus entschieden, die >Kunst am Kunstwerk< zu erhalten. >Nach den kommenden zwei Jahren werden wir sehen, wie es weitergeht<, so OB Erik Pauly. Kulturamtsleiterin Lina Mell sagt: >Ich kenne es ja erst seit einem Jahr, hatte aber nie das Gefühl, dass die Mutterfigur eingesperrt wirkt.< >Ich sehe den Zaun eher als Irritation des Blicks auf das traditionelle Mutterbild, das ja heute auch nicht mehr so ist, wie es Bildhauer Emil Sutor vor knapp 60 Jahren ausgelegt hat<, so die Museumsleiterin Simone Jung. (Schwarzwälder Bote, Oberndorf am Neckar, 7. März 2016) 
Badische Presse, Karlsruhe, 28./29. Juni 1941, S. 3: Überfall auf die Sowjetunion. In der Mitte: »Gefangener Sowjetrusse, ein >Kämpfer für Zivilisation und Kultur<, wie die Plutokraten glauben ma - chen möchten.« ►►►►►► eine Seite weiter ►►►:
Badische Presse, Karlsruhe, 28./29. Juni 1941, S. 4: »Der Karlsruher Bildhauer Emil Sutor arbeitet zur Zeit an einer Kolossalplastik >Der Pionier<. Für die diesjährige Müncher Kunst-Ausstellung. Das Kunstwerk wird später in Karlsruhe zur Aufstellung kommen.« (Heute: verschollen) https://www.ka- news.de/region/karlsruhe/stadtgeschichte. /er-schuf-den-nackten-mann-emil-sutor-bildhauer-legende- und-nazi-mitlaeufer-aus-karlsruhe;art6066,2669449 (Abruf: 28. September 2021) Hier der aktuelle Text:
»Ab 1921 wird Sutor freischaffender Bildhauer in Karlsruhe und wirkt zwischen 1925 und 1936 auch mit der Majolika zusammen. In seiner mehr als 50-jährigen Karriere als Bildhauer ar - beitet Sutor in drei verschiedenen Epochen Deutschlands: Der Weimarer Republik, den Nationalsozialisten und der Bundesrepublik Deutschland. Er ist gut im Geschäft und kommt, anders als viele andere Künstler der Zeit seinen Auftraggebern sehr entgegen. // In der Nachkriegszeit wurde Karlsruhes Bildhauer Emil Sutor unter anderem für seine Skulptur der >Nackte Mann< vor dem Wildparkstadion und die beiden Plastiken der mythologischen Figuren Hebe und Diana im Schlosspark be - kannt. Jedoch vor genau 80 Jahren Ende Juni 1941, arbeitete Sutor an einer monumentalen Plastik, genannt >Der Pionier<, die in Karlsruhe ausge - stellt werden sollte. Aber in wessen Auftrag er arbeitete oder was aus dieser Kolossalskulptur gewor - den ist, bleibt ein Geheimnis. […] // >Es fällt nicht leicht<, schreibt die Badische Presse im November 1940, >das künstlerische Schaffen Emil Sutors unter einen einheitlichen Nenner zu bringen. Monumentale Bauplastik steht neben dem rein dekorativen Relief.< // In diesem Sinne macht Sutor nach dem Krieg weiter und passt sich den neuen Umständen nahtlos an, als ob sich die Zeiten nicht geändert hätten. Im Spruchkammerverfahren wird er als >Mitläufer< eingestuft und bekommt eine Strafe von 500 Mark. Nach kurzer Pause kehrt er zu seinen religiösen Kunstwerken zurück und dadurch, dass so viele Kirchen im Krieg beschädigt wur - den, gibt es sehr viel zu tun. // Neben sei - ner Arbeit für Kirchen in ganz Baden- Württemberg schafft er eine Reihe von Werken für kulturelle Zwecke einer der bekanntesten in Karlsruhe ist eben der >Nackte Mann< im Jahr 1959. Zwischen 1961 und 1963 erstellt er die Brunnenanlage am Albtalbahnhof und 1967, das Jahr der Bundesgartenschau in Karlsruhe, kreiert er die beiden Skulpturen >Hebe< und >Diana< […] auf dem Schloßplatz. // 1958 modelliert Emil Sutor eine Version des Bambi-Rehs für den deut - schen Medienpreis. Das Reh wird in Bronze gegossen und vergoldet. Dies wird sein bekanntestes Werk in der Medienbranche.« (Badische Presse, Karlsruhe, 2./3. November 1940, Sonntagspost; s. Zitat oben; Autor: Hubert Doerrschuck; nach dem 2. Weltkrieg bekannt als >Amadeus Siebenpunkt<; s.u.) »Bevor der Nackte Mann am neuen Standort wieder aufgebaut wird, erhält er eine Generalüberholung. Seit über 60 Jahren begrüßt die Statue die Besucher des Wildparkstadions bei jedem Wind und Wetter. >Der Nackte Mann hat einen ganz hohen Stellenwert bei den Fans. Er ist Treffpunkt, Anlaufpunkt und ge - hört einfach zum Wildparkstadion<, sagt Thommy Grimm, Sprecher aller KSC-Fanclubs […]. // Geschaffen wurde die Steinfigur von Emil Sutor, einem Bildhauer aus der Region, der die Statue dem Karlsruher SC geschenkt hat. Da die Skulptur des Nackten Manns die Form eines Sportlers hat, wurde und wird sie auch heute noch >Schlotter- Beck< genannt. // In Erinnerung an den ehemaligen Mittelstürmer des KSC: Heinz Beck. […] // >Er gehört zum Wildpark wie der KSC und die Bratwurst zum Fußballspiel am Samstagmittag<, sagt Supporters-Vorsitzender Marco Fuchs […]. Er sieht die Skulptur auch als großartiges Symbol für den Verein. >Widerstandsfähig trotzt er dem Wetter. Hat jahrzehntelang Spieler, Funktionäre und Fans kommen und gehen sehen Erfolge gefeiert und Niederlagen weg - gesteckt. Er ist ein Teil der Tradition<, so Fuchs. […] // Der KSC, dem die Statue gehört, hat nach Absprache mit dem Denkmalschutz bei einem Steinmetz beziehungsweise Restaurator eine sogenannte Schadenskartierung und einen restauratischen Befund in Auftrag ge - geben […]. // Eine Restaurierung von Steinskulpturen kann viel Zeit in Anspruch nehmen. […] Sorgfalt ist dabei sehr wichtig vor allem wenn es sich wie im Fall vom Nackten Mann um ein denkmalge - schütztes Objekt handelt. // Umso größer wird dann die Freude bei den Fans wohl werden, wenn ihr stummer Freund sie dann wieder vor dem dann neuen Stadion begrüßen wird.«
Vossische Zeitung, Berlin, 30. Dezember 1932, Abendausgabe ▐║▐ Ein halbes Jahr später:
Das Rollkommando der Cuxhavener Marine-SA präsentiert seine Opfer: den jüdischen Kinobesitzer Oskar Dankner und seine >arische< angebliche »Mätresse« Adele Edelmann. // Oskar Dankner war einer der ersten Juden in Cuxhaven, der den antisemitischen Terror des Hitlerregimes am eigenen Leibe zu spüren bekam. Gegen ihn war eine Hetzkampagne gerichtet, die vor allem von dem so genannten >Rollkommando< der Marine-SA vorangetrieben wurde. Sie gipfelte am 27. Juli 1933 in einer öffentlichen Anprangerung, bei der Dankner zusammen Adele Edelmann mit einem Schild um den Hals durch die Straßen der Stadt getrieben und dabei auch mit einem Seil ge - schlagen wurde. Der Weg ging von der Deichstraße durch die Neue Reihe, Marienstraße, Schillerstraße über die Deichstraße zur Bahnhofstraße. Dort wurde die Aktion mit Hilfe der Polizei >beendet<. // Niemand war dabei. Keiner hat etwas gesehen. Das Foto >schoss< ein anonymer Apparat. Die aktiv Beteiligten waren >fehlgeleitet< und taten nur ihre Pflicht.
»Die Deutschen haben überhaupt keinen Sinn für Geschichte, vermutlich weil sie keine Geschichte haben.« (GBA 27,296; 3. Januar 1949.)
Die germanische Familie, 1935
Angela Merkel zum Tag der deutschen Einheit; 3. Oktober 2021: „Wir erleben aber in dieser Zeit zusehends Angriffe auf so hohe Güter wie die Pressefreiheit. Wir erleben eine Öffentlichkeit, in der demagogisch mit Lügen und Desinformation Ressentiments und Hass geschürt werden, ohne Hemmung und ohne Scham. Da werden nicht nur einzelne Personen oder Gruppen diffamiert, da werden nicht nur Menschen angegriffen wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihres Glaubens – da wird die Demokratie angegriffen. Nicht weniger als unser gesellschaftli- cher Zusammenhalt steht deshalb auf dem Prüfstand.“ „Erschütternd sind auch die vermehrten Anfeindungen von Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen – ob Feuerwehrleute, Rettungssanitäter oder Kommunalpolitiker. Die verbale Verrohung und Radikalisierung, die da zu erleben sind, dürfen nicht nur von denen beantwortet werden, die ihr zum Opfer fallen, sondern müssen von allen zurück- gewiesen werden. Denn allzu schnell münden verbale Attacken in Gewalt – so wie es die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge hier in Halle, das Attentat von Hanau oder die Ermordung eines 20-jährigen Tankstellenmitarbeiters in Idar-Oberstein zeigten. Soweit darf es gar nicht erst kommen.“ „Deshalb müssen wir uns an einem Tag wie heute auch ehrlich fragen, wie wir miteinan- der umgehen, wie viel wechselseitigen Respekt wir vermitteln und wie wir die Demokratie vor denen schützen, die sie missachten, die sie verachten. Vorurteilen und Unwissenheit können wir entgegenwirken – durch die Bereitschaft, offen für andere und ihre Ansichten und Erfahrungen zu sein. Das ist das Besondere einer Demokratie […]: Vielfalt und Unterschiede sind keine Gefahr für die Demokratie; ganz im Gegenteil. Vielfalt und Unterschiede sind Ausdruck gelebter Freiheit.“
Worauf Angela Merkel am Tag der deutschen Einheit nicht einging:
Die Sprache der Politik bevorzugt Begriffe, um mit ihnen Vorstellungen wachzurufen, als wäre alles   natürlich,   was   gesellschaftlich   geschieht.   Leider übernimmt auch die Historiographie gern diese Begrifflichkeiten, vor allem dann, wenn sie im Fernsehen (Phoenix, Tagesschau 24, ZDF neo, ntv) >allgemeinverständlich< historische Dokumentationen ausstrahlt. »Die großen politischen Verbrecher müssen durchaus preisgegeben werden, und vorzüglich der Lächerlichkeit. Denn sie sind vor allem keine großen politischen Verbrecher, sondern Verüber großer politischer Verbrechen, was etwas ganz anderes ist.« (BB um 1953; GBA 24,316) Da wird ungeniert und ohne (hörbare) Anführungszeichen von historischen >Größen< gespro - chen (= Goebbels, Göring), vom >Führer< (= Hitler), von >Dritten Reich< (= Nazi-Terror- Herrschaft 1933-1945), von >Säuberungen< (= Verfolgung/Ermordung Andersdenkender). Da >brechen Kriege aus< wie Vulkane; da >rücken die Truppen vor< wie Entdecker unkannten Terrains; da >kämpfen Menschen um ihr Leben< (wie bei Krankheiten, wenn sie sich gegensei - tig ermorden). »Die Geschichtsauffassung der Kleinbürger (und der Proleten, solang sie keine andere haben) ist größtenteils romantisch. Der erste Napoleon beschäftigte die arme Phantasie dieser Deutschen natürlich nicht durch den Code Napoleon, sondern durch die Millionen seiner Opfer. Die Blutflecken stehen diesen Eroberern gut zu Geischt, wie Schönheitsflecken.« (BB um 1953; GBA 24,317) Wir nennen >Wachstum< , was die Politik mit Null-Zins-Politik steuert und fördert, um den Konsum anzuheizen, obwohl alle wissen (könnten), dass der Konsum in den reichen Ländern gedrosselt werden muss und das >Shopping< ein Freizeitvergnügen für Hirnlose ist und end - gültig irrenhausreif wird, wenn es das Privatfernsehen unter dem Motto: »Puff, Puff, Hurrah!« verkauft. Hier der Link für die, die’s nicht glauben: https://www.vox.de/videos/christina-legt-die-messlatte-ziemlich-hoch-615584ce815f452408094278.html Die Politik propagiert als >freie (soziale) Markwirtschaft<, was die Bankinstitute (= Dienstleister ohne jegliche Produktivität) qua Investitionen vorgeben (in des Worts doppelter Bedeutung); für ihre Verbrechen legen die Extra-Konten an, weil die Gerichte dazu neigen, Vergleiche abzu - schließen, was sehr teuer ist. Dass die Banken keine Zinsen mehr auf Guthaben zahlen, ja sogar die Guthaben ab bestimmter Höhe mit Zwangsgeldern belegen, wird als >Verwahrungsentgelt< verbucht; Verwahrung bedeutet: etwas (jemand) unter Aufsicht stellen, arrestieren, beaufsichtigen, unter Verschluss nehmen; und so weiter, und so weiter. Das alles lassen wir uns einfach gefallen. >Verbale Verrohung und Radikalisierung< , Frau Bundeskanzlerin, sind erkennbar und relativ leicht habhaft zu machen. Allerdings hat es sehr, sehr lange gedauert hat, den PolitikerInnen und auch Ihnen klar zu machen, dass die Täter an ihrer Sprache erkennbar werden. Deshalb sollte die Politik angehalten sein, mit Sprache vorsichtig umzugehen. »Der politische Verbrecher [… wird] schon dadurch groß, weil er im Umgang mit Menschen eben nicht kleinlich war. Dieser Respekt vor den Tötern muß zerstört werden. […] im allgemei- nen gilt wohl der Satz, daß die Tragödie die Leiden der Menschen häufiger auf die leichte Achel nimmt als die Komödie« (BB um 1953; GBA 24,317f.) Das hätte bereits in den Dreißiger Jahren (spätestens), vor dem gewiss kommenden Krieg, der Fall sein können, als niemand auf die >leiseren< Töne der Nazis hören wollte: >Kraft durch Freunde< , >Volkswagen< (im Voraus für die Rüstung zu bezahlen, aber nie ans >Volk< ausgeliefert), >Arbeitsfront< (DAF als Zwangsarbeitsdienst), >Schutzhaft< (für illegale Verhaftung von >Gegnern<, >Heimatfront< (für vorbereitenden Kriegsdienst), >Autobahn< (Herkunft: gotisch = banja = Bahn = Wunde; »die von füszen und wagen getretne, breitgeschlagene strasze. nicht anders sagte man die strâʒe, den wec bern, den weg treten […], so unvereinbar anfangs auch die begriffe todschlag und strasze scheinen, beide reihen müssen einer quelle entflossen sein, wie die bedeutung lehrt«, Grimm’sches Wörterbuch; heute: »Freie Fahrt für freie BürgerInnen!«) oder auch >Lebensraum< (»der aus der Gestaltungskraft der arischen Rasse geschaffene Lebensraum« im Osten, für dessen Eroberung die dort Ansässigen als minderwertige Menschen vertrieben oder besei - tigt werden mussten; der Begriff stand ab der Machtübergabe Januar 1933 allgemein zur Verfügung). Auch hätte auffallen können, dass die Nazis von den Sozies die rote Farbe (der Fahne) und von den Christen das Kreuz (ihres Glaubens) geklaut hatten. Auch Begriffe wie >arteigen< (radiophon) oder >gleichschalten< (von Lichtquellen) eigneten sich die Staats-Terroristen aus der Technik bzw. Elektronik an, werteten ihre Bedeutung politisch wie rassistisch um, weil sie verstanden hatten, dass die Technik sich hervorragend dazu eignet, Propaganda zu betreiben. Mit der Technik kam das Prinzip Re-Produktion in den Alltag, das heißt: die ständige Wiederholung eines Musters, eines Formats. Das führte in der Unterhaltungsindustrie zum Commerzschlager, der eine eingängige Melodie ständig wiederholt, also selbst bei einer guten Minuten Länge 7mal die fast identische melodi - sche Sequenz und 3mal mit leicht variierendem Text kurze Strophen reiht (so die Beatles mit »She loves you« in knapp 120 Sekunden, nur der halbe Song bei überaus dürftigem Text). Mit der Technik kamen zugleich die Apparate, die unabhängig von Zeit und Ort das Prinzip der Re-Produktion in Dauerschleife umzusetzen vermochten. Die Nazis nutzten diese Möglichkeiten rigoros. Und weil dies so ist, gibt es auch sprachliche Formate und Muster, bei denen die Absicht nicht gleich zu bemerken ist oder gar keine Absicht vorliegt, sich aber trotzdem Tendenzen abzeichnen, die schnell in eine Radikalisierung umschlagen können oder sich mit einer schleichende unbeabsich - tigten Parteinahme mit potenziell radikalen Tätern bzw. Gefährdern verbinden. Das gilt für viele Filme, die allen voran mit den Stars Heinz Rühmann »Quax, der Bruchpilot« (1941), »Feuerzangenbowle« (1944) und Hans Albers »Münchhausen« oder Luis Trenker »Der Berg ruft!« (1938) aus der Nazi- Zeit einfach in die frühe BRD (West) übergingen und noch heute fürs Fernsehen die Lücken stopfen. Das gilt für viele Krimis, die mit Schema Gut-Böse oder der Schwarz-Weiß-Malerei arbeiten und für die Gangster rassistische Typen (brutale Gesichter, Farbige) verwenden (frühe Bond-Filme). Die Rückkehr der Heimattümelei schlägt sich nicht nur im Beispiel des Karlsruher SC nieder, einem ständigen Schuldenverein, der öffentliche Gelder kassiert und aufgrund des >heiligen Fußballs< mit seinen >begeisterten Massen< (= Anhängern) und mit seiner angeblichen >Bedeutung< für die Stadt und ihr Ansehen kokettiert, was schon länger in versteckte Erpressung des Gemeinderats überzuge - hen droht. Das gilt aber auch für populäre Fernseh-Serien, die völlig unmotiviert und anachronistisch nationale Symbole bemühen. Ein Beispiel ist »Babylon Berlin«; hier die Serie 2, Episode 6, die wir in unserem Blog bereits gesondert bemüht haben. Hier einfach noch einmal die Belege für die anachro - nistische Umsetzung im Film:
»Babylon Berlin«; 2. Staffel, 6. Episode: Theater am Schiffbauerdamm, Ort für ein Attentat auf Stresemann; Turm ohne Ampel, dafür mit Fahne Schwarz-Rot-Gold. Der Film lässt im Unklaren, wer die wirklichen Attentäter sind. Zur Zeit des >filmischen< Anschlags, am Prangertag 1929 (= Fronleichnam, ein Donnerstag, 30. Mai), hatte der Film noch seinen Aufbau, die vollständige Haube sowie die Laterne mit Aufbau und Spitze. Die >Schleifung< erfolgte erst in den fünfziger Jahren, als die DDR-Oberen allen Schmuck am Gebäude abschlagen und den Turm köpfen ließen. Der Film erhielt trotzdem eine Auszeichnung für seine Ausstattung: Fazit: (unbewusste, ignorante) Irreführung des Publikums. Dafür aber nationale Schleichwerbung: Die Nation ist in Gefahr. Der besonnene und mit Zivilcourage eingreifende >Held< wendet sie (noch) ab.
In eine ähnliche Richtung geht die Debatte um den Begriff >Flüchtling< , weil er eine bedenkliche Wortstruktur aufweise, deren Endung > ling< sich in vorwiegend negativ konnotierten Wörtern wie >Fiesling<, >Schreiberling< wiederfinde. Das Alternativ-Wort >Geflüchtete< klingt nicht nur sehr künst - lich, es ist auch sinnwidrig, weil es passivische Bedeutung hat und einen abgeschlossenen Vorgang anzeigt. Das Problem ist, dass das passende Wort in der BRD besetzt ist, weil es den so genannten >Heimatvertriebenen< vorbehalten bleiben soll. Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen wurde am 5. August 1950 in Stuttgart-Bad Cannstatt von 30 Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen un - terzeichnet und am folgenden Tag vor dem Stuttgarter Schloss und im ganzen Bundesgebiet verkündet. Sie gilt als das Grundgesetz der deutschen Heimatvertriebenen. In ihrem Kern enthält sie einen Aufruf zum Verzicht auf Rache und Gewalt trotz des eigenen gerade erlittenen Unrechts und ein klares Bekenntnis zur Schaffung eines einigen Europas, zur Verständigung zwischen den Staaten, den Völkern und Volksgruppen. Sie war zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung am 5. August 1950 ihrer Zeit weit voraus und eine große moralische Leistung der Vertriebenen, die damals noch nicht wussten, was überhaupt mit ihnen geschehen sollte und wie es weitergehen würde. Tausende befanden sich zudem noch in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. // Aber die Charta spricht auch vom Recht auf die Heimat, als einem von Gott geschenkten Grundrecht der Menschheit, das in Bezug auf die Heimatvertriebenen bis heute nicht verwirklicht ist. Dazu heißt es: »Die Völker müssen erkennen, dass das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen wie aller Flüchtlinge, ein Weltproblem ist, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordert.«(Bund der Vertriebenen; https://www.bund-der-vertriebenen.de/charta)
„Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten. Das heißt doch Auswandrer. Aber wir Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss Wählend ein andres Land. Wanderten wir doch auch nicht Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer. Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte. Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm.“ (GBA 12,81)
GOTTFRIED BENN: Antwort an die literarischen Emigranten; 24. Mai 1933: „Ich muss Ihnen zunächst sagen, dass ich auf Grund vieler Erfahrungen in den letzten Wochen die Überzeugung gewonnen habe, dass man über die deutschen Vorgänge nur mit denen spre- chen kann, die sie auch innerhalb Deutschlands selbst erlebten. […] Diese haben nämlich die Gelegenheit versäumt, den ihnen so fremden Begriff des Volkes nicht gedanklich, sondern er- lebnismäßig, nicht abstrakt, sondern in gedrungener Natur in sich wachsen zu fühlen, […] haben es versäumt, die Geschichte form- und bilderbeladen bei ihrer vielleicht tragischen, aber jedenfalls schicksalbestimmten Arbeit zu sehen. […] Meinen Sie, die Geschichte sei in franzö- sischen Badeorten besonders tätig? […] Ich erkläre mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich hier den Weg bahnt. Wer wäre ich, mich auszuschließen? Weiß ich denn etwas Besseres – nein! […] Schuf Hitler die Bewegung oder die Bewegung ihn? Diese Frage ist bezeichnend, man kann beide nämlich nicht unterscheiden, da sie beide identisch sind. (…) Hinter dieser Bewegung steht friedliebend und arbeitswillig, aber wenn es sein muss, auch untergangsbereit, das ganze Volk. […] Die zunehmende Verkleinerung des Menschen ist die Kraft, an die Züchtung einer stärkeren Rasse zu denken. Dazu: eine herrschaftliche Rasse kann nur aus furchtbaren und gewaltsamen Anfängen emporwachsen.“
Antisemitismus in Deutschland: Dialog statt Ignoranz Hier Presseerklärung vom 12.10.2021  runterladen!
Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4
Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4
BRECHTLEBTDOKU 07.Oktober 2021
Es geht also weiter – und die bundesdeutschen Beauftragten gegen Antisemitismus ignorieren weiterhin oder schon wieder? Eine aktuelle Kalendergeschichte von Jan Knopf
Zum Thema
DOKUMENTATION Ruhrepos 03
DOKUMENTATION Ruhrepos 01