Teil 1
Im
Mai
1927
vergaben
die
Essener
Städtischen
Büh-
nen
einen
Auftrag.
Das
Thema
war
das
Ruhrge-
biet.
Er
ging
zurück
auf
eine
Initiative
des
Essener
Oberbürgermeisters
Franz
Bracht
und
den
Opern-
Direktor
Rudolf
Schulz
-
Dornburg.
Schulz-Dorn-
burg
wollte
dem
zeitge-
nössischen
Opernschaf-
fen
einen
auffälligen
Platz
im
Spielplan
einräumen
und
setzte
sich
für
eine
aktive
Kulturpolitik
ein,
die
das
Theater
stärker
als
bisher
mit
der
arbeitenden
Bevölkerung
in
Kontakt
bringen
sollte.
So
schlug
er
dem
Essener
Oberbürgermeister
eine
>Industrieoper<
über
das
Ruhrgebiet
vor
und
benannte
seinen
Freund
Kurt
Weill
als
den
dafür
geeigneten
Komponisten.
Weill
nahm
den
Vorschlag
an
und
brachte
Bertolt
Brecht
ins
Spiel,
mit
dem
er
gerade
sein
erstes
gemeinsames
Projekt
begonnen
hatte,
das
Songspiel
Mahagonny.
Nach
ersten
konzeptionellen
Überlegungen
erweiterte
Brecht
seinerseits
das
Team
um
den
be
-
freundeten avantgardistischen Dokumentarfilmer Carl Koch.
Das
Projekt
>Industrieoper<
war
ein
ehrgeiziges
Vorhaben,
Schulz-Dornburg
wollte
mit
ihm
ein
künstlerisches
Signal
für
ganz
Deutschland
setzen
und
die
Ruhrmetropole
Essen
schlagartig
in
den
Rang
einer
der
führenden
Theaterstädte
erheben.
In
einem
Brief
vom
17.
Mai
1927
an
den
Essener
Oberbürgermeister
stellte
Schulz-Dornburg
in
Aussicht,
»dass
die
Arbeit
von
Bert
Brecht
und
Kurt
Weill
etwas
außerordentlich
wichtiges
und
schönes
werden
kann,
das
die
Absichten
der
Stadt
in
künstlerischer
Beziehung
besonders
deutlich
schon
im
ersten
Jahr
erkennen
lässt«.
Das
Bühnenwerk
dokumentarischen
Charakters
soll
das
rheinisch-westfälische
Industriegebiet
themati
-
sieren,
seine
Technik
und
seine
enorme
Konzentration
arbeitender
Massen.
Formales
Modell
sollte
die moderne Revue mit schnell wechselnden Bilderfolgen unterschiedlicher Inhalte sein.
Weill
hatte
vor,
in
seiner
Musik
alle
Ausdrucksmittel
der
absoluten
und
dramatischen
Musik
zu
einer
neuen
Einheit
zu
steigern,
die
den
technischen
Apparaten
der
Zeit
angemessen
und
durch
sie
über
-
haupt
erst
möglich
wurden.
Er
dachte
dabei
nicht
an
eine
Musik,
die
mit
naturalistischen
Industrie-
oder
Maschinengeräuschen
arbeitete,
vielmehr
sollte
die
Bühnendarstellung
in
Ausdruck,
Dynamik
und
Tempo
musikalisch
präzisiert
werden.
Weill
schwebten
symphonische
Vor-
und
Zwischenspiele,
abgeschlossene
Orchesterstücke,
polyphone
Ensemblesätze,
vokale
Solo-
und
Chorpartien,
Arien,
Duette
und
über
den
riesigen
Produktionshallenraum
verteilte
Mehrchörigkeit
vor.
Strenge
Formen
sollen
durch
humorvolle,
ja
komische
Szenen
mit
Songs
im
Stil
des
Jazz
abgelöst
werden
und
den
Revue - Charakter betonen.
Carl
Koch
entwickelte
eine
überdimensionale
Projektionsfläche,
die
den
ganzen
Bühnenhintergrund
ausfüllen
sollte.
Weitere
kleinere
Projektionsflächen
würden
in
den
Bühnenraum
verteilt
und
ermög
-
lichten
mittels
Filmprojektoreinsatz
und
Diaprojektion
einen
simultanen
Einsatz
mehrerer
Bildebenen,
die
sich
zu
Wort
und
Musik
in
kontrapunktischem
Gegenspiel
verhielten.
An
optischen
Mitteln
sah
er
Trickfilme,
Naturaufnahmen,
Diapositive
vor.
Gestaltet
würden
per
Trickfilm
Vorgänge
zur
Entstehung
des
Kohlenreviers,
eine
Darstellung
des
Zusammenflutens
der
Menschen
in
diesem
Gebiet
und
der
historischen
Bildung
der
Siedlungen.
Diese
Darstellungen
sollten
von
gewaltigen
Chören begleitet und per Diapositiv in Tabelaus verdeutlicht werden.
Weill
und
Brecht
hatten
vorgesehen,
den
Maschinenpark
der
Ruhr
regelrecht
zum
zum
Sprechen
wie
zum
Klingen
zu
bringen,
und
zwar
auf
durchaus
witzige
Weise,
wenn
etwa
der
Kran
»Karl«
sol
-
che
Empfehlungen
erhält
wie:
»Rauch
nicht
den
ganzen
Tag
wie
ein
Kapitalist
/
Bete
und
arbete!
/
Rutsch
mal
vier
Meter
vor!
/
Rutsch
mal
vier
Meter
retour!
/
Mach
mal
Männchen
/
Leg
mal
dein
Greiferchen
vor
dich
auf
die
Schienen!
/
So
ist’s
brav,
Karlchen.
[...]
/
Karl,
mach
mal
ein
marxistisch
aufgehelltes
Gesicht!«
Da
das
Ganze
von
Weill
vertont
werden
sollte,
handelte
es
sich
genauer
um
den
Sang
der
Maschinen
(so
ein
Gedichttitel),
der
erklingen
und
die
Maschinen
regelrecht
zum
Leben
erwe
-
cken
sollte:
»Mein
Nam
ist
Milchsack
Nummer
4
/
Ich
saufe
Schmieröl,
du
saufst
Bier
/
Ich
fresse
Kohlen,
du
frißt
Brot
/
Du
lebst
noch
nicht,
ich
bin
noch
tot.«
Zu
dieser
Zeit
lässt
Brecht
auch
die
Steyrwägen
singen
und
die
Motoren
brüllen,
alles
Versuche,
auf
kunstvolle
Weise
Mittel
zu
finden, dass die Apparate >zur Sprache kommen<, zu >ihrer< eigenartigen Sprache kommen.
Statt,
wie
es
üblich
war,
mit
naturalistischen
Geräuschen
zu
arbeiten,
wollte
Brecht
menschliche
Stimmen
einsetzen,
um
so
den
Apparaten
>ein
Gesicht<
zu
geben,
sie
folglich
nicht
in
ihrer
Anonymität
zu
belassen,
wie
es
in
der
gesellschaftlichen
Realität
der
Fall
war,
sondern
ihre
mögli
-
che
Beherrschbarkeit
anzudeuten.Die
>Arbeit<
der
Maschinen
sollte
in
ihrer
Eigenheit
>verstan
-
den<
und
die
Apparate
als
Menschenwerk
qualifiziert
werden,
die
sich
nicht
vom
arbeitenden
Menschen lösen oder gar den Menschen in ihrem Funktionieren >aufgehen< lassen.
Deutlich
sollte
dargestellt
sein:
Die
Arbeiter
verfügen
über
die
Apparate,
die
ohne
sie
nicht
(von
selbst)
>arbeiten<
könnten;
sie
werden
zu
>Kumpels<
und
>vermenschlichen<
Mitarbeitern.
Die
herrschende
Anthropomorphisierung
der
Technik
als
zweite
gesellschaftliche
>Natur<
war
umzukeh
-
ren
in
die
Vermenschlichung
der
Maschine,
in
der
sich
die
menschliche
Arbeit
niedergeschlagen
hat
und
im
>Dienst<
der
Arbeiter
die
Produkte
hervorbringt.
Entsprechend
zum
inhaltlichen
Programm
wären die neuen Medien sowie die moderne >epische Dramatik< Brechts zum Einsatz gekommen.
Dass
Naturkräfte
und
die
Menschen
ins
Gespräch
kommen,
war
schon
ein
klassischer
Gedanke.
Goethe
zum
Beispiel
hat
in
seiner
Metamorphose
der
Pflanzen
eindrücklich
gezeigt,
dass
die
Natur
erst
dann
zum
Menschen
>spricht<,
wenn
er
sie
virtuell
in
ihrem
Werden
betrachtet
und
das
Betrachtete
gedanklich
miteinander
verknüpft.
Dass
der
Mensch
die
Natur
nur
beherrschen
kann,
wen
er
sich
ihr
unterwirft,
ist
der
Kerngedanke
der
modernen
Naturwissenschaft.
Das
heißt,
die
Natur
antwortet
nur
dann
angemessen
auf
den
Menschen,
wenn
er
ihr
die
richtigen
Fragen
stellt,
die
aber
kann
er
nur
aus
der
Natur
selber
beziehen
und
nicht
etwa
seinem
Hirn
abzapfen
Diese
Versuche wären, wären sie auf der Bühne realisiert worden, ästhetisch >revolutionär< gewesen.
Mit
dem
Ruhrepos
lag
ein
Entwurf
vor
für
ein
gewaltiges,
multidimensionales
Panorama
einer
Landschaft,
einer
Schwerindustrie,
einer
gewaltigen
Kohleförderung
und
eines
lebendigen,
wider
-
sprüchlichen
und
explosiven
Siedlungsraumes,
der
Mitte
der
Zwanziger
Jahre
das
–
dann
für
die
Krieg
genutzte
–
Zentrum
der
deutschen
Schwerindustrie
bildete.
Brecht
und
Weill,
die
>Juden<,
wollten
einen
ästhetischen
Querschnitt
durch
ihre
künstlerischen
Produktionen
offengelegen,
der
zum modernsten gehörte, was an Kunst in den zwanziger Jahren konzipiert wurde.
Die
Machtverhältnisse
hinter
den
politischen
Kulissen
von
Essen
waren
so
angespannt,
dass
sich
der
Stadtrat
eines
zweifelhaften
Friedens
(der
dann
zu
>mehr<
führte)
das
multimediale
Experiment
fallen
ließ,
weil
er
sich
dem
Druck
antisemitischer
Hetze
und
dem
konservativen
Kultur-Bürgertum
beugte, das sich >ruhig< verhielt (wie immer).
„Heute
finden
die
Verteidiger
von
Heimat
und
Vaterland
subtilere
Mittel,
um
ihren
überholten
>Geschmack<
durchzusetzen
und
so
einer
Stimmung
vorarbeiten,
die
be
-
kanntlicher
Weise
in
absehba
-
rer
Zeit
in
offene
Gewalt
umschlägt,
wenn
die
Diffamierungen
erst
einmal
den
Boden
bereitet
und
die
berühmten
>Wurzeln<
ge
-
schlagen haben.“
Der
Führer,
Karlsruhe,
21.
Mai
1944,
Sonntagsausgabe;
Plastik
von Emil Sutor.)
Diese
Wurzeln
–
nicht
die
der
>Abstammung<,
die
ganz
na
-
türlich
sind
und
keinen
Boden
und
keine
Gründe
haben
–
sind
es,
die
die
Missgeburten
hervorbringen.
Der
Mensch
ist
kein
Baum.
Der
Mensch
hat
keine
Wurzeln.
Er
kommt
da
raus,
wo
er
reingesteckt
worden
ist.
–
Der
Schoß
ist
fruchtbar
noch
/
Aus dem DAS kroch.
Von links: Essens OB Franz Bracht,
Operndirektor Rudolf Schulz-Dornburg, Bertolt Brecht und Kurt Weill
Es geht also weiter – und die bundesdeutschen Beauftragten gegen
Antisemitismus ignorieren weiterhin oder schon wieder?
Eine aktuelle Kalendergeschichte von Jan Knopf
Zum Thema
Eigentlich sollte das "Ruhrepos" ein "künstle-
risches Dokument des rheinisch-westfäli-
schen Industrielandes" werden- wäre es von
Bertolt Brecht, Kurt Weill und Carl Koch tat-
sächlich realisiert worden. 1927 hatte näm-
lich die Stadt Essen die Künstler eingeladen,
eine Industrieoper zu inszenieren. Es sollte
ein künstlerisches Denkmal werden, das die
Essener Oper auf der Landkarte des deut-
schen Theaters sichtbar machen würde. Doch
plötzlich bekamen die Verantwortlichen kalte
Füße, da offenbar antisemitische Kräfte ihren
Einfluss geltend machten..
Hinweis: Auf das Foto klicken und rechts unten auf Desktopgröße bringen !
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BRECHTLEBTDOKU 01.Oktober 2021
DOKUMENTATION Ruhrepos 02
DOKUMENTATION Brecht und die Juden