Diejenigen, welche über die soziale Frage eine andere Ansicht als Herr Hitler haben, halten Sie ganz allgemein für undeutsch. Und ich habe ebenso wie viele Millionen Deutscher über die soziale Frage eine andere Ansicht als Herr Hitler.« Brecht nahm das >Thema< in der Form, das die Nazis ihr gegeben hatte, nicht an, weil er sich auch nicht ex negativo auf das peinliche Niveau seiner Verfolger herablassen wollte. Von daher überwogen bei Brecht satirische Texte; denn dieser Rassenwahn der Nazis, wobei auch schon zu erwägen wäre, was denn >rassisch< an den Juden, die in erster Linie eine Religionsgemeinschaft bilden, sein soll, war nur in seinen realen Wirkungen, nicht aber als Ideologie ernst zu nehmen. Der Hetzartikel in lesbarer Größe für alle, die wissen wollen, was die Nazis unter >Jude< verstanden: Alles, was ›links‹, ›marxistisch‹, kritisch war ◄◄◄ Der Führer, Karlsruhe, 11. März 1931 – knapp zwei Jahre vor der Machtübergabe an den Psychopathen und Beginn seines ›Dritten Reiches‹, immer noch ohne Anführung zitiert. Die badische Regierung (SPD, Zentrum, DVP) schließt sich den Hetzern an: 1931! Der Führer, Karlsruhe, 22./23. März 1931 Der Führer, Karlsruhe, 9. April 1931 Das Gericht siegt über die badischen, thüringischen und braunschweiger Minister: ║▌NAZIS fragen: »Wer regiert nun Deutschland eigentlich?« Die Hetze geht weiter: Schon der junge Brecht bezeichnete sich, da er ständig auf Wanderschaft war, als der »ewige Jud«. Als sein erster Sohn Frank in ärmlichen Verhältnissen auf dem Land gebo- ren wurde, verglich er diesen mit dem »klei- nen Juden« von Bethlehem. ║ Eine seiner besten und meistverbreiteten Kurzgeschichte, Die Bestie, hat als histori- schen Hintergrund die Judenpogrome im Westen und vor allem Südwesten Russlands. Dort fanden 1903 bis 1906 antijü- dische Pogrome statt, die hauptsächlich von der städtischen Unterschichtbevölkerung und von Bauern verübt wurden. In verschiedenen Städten baten jüdische Delegationen bei den Gouverneuren um Hilfe, die sie jedoch nicht gewährten. – Brechts Geschichte handelt davon, dass die sowjetische Filmfirma Meschrabpom-Rus einen ›sozialistischen‹ Film über diese Pogrome herstellt, an dem – damit es authentischer wirke – Überlebende als Darsteller der bittstellenden Juden auftreten durften, um sich ein Almosen zu verdienen. Brecht zeigt, wie die korrupte naturalistische Ästhetik der sowjetischen Filmemacher dafür sorgt, dass die >ech- ten< Juden im Film nochmals, jetzt >ästhetisch< hingerichtet werden: Das ist Brechts Urteil über den ›sozialistischen Realismus‹ von 1928. Die Bestie erschien in der Berliner Illustrirten Zeitung als beste deutsche Kurzgeschichte der Zeit am 9. Dezember 1928 in einer Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren. (Wird fortgesetzt.)
Thema >Juden< bei Brecht: Historische Erinnerungen
„Deutsche Leitkultur“ contra „Jüdische Dekadenz“
Unmittelbar nach seiner Flucht entwarf Brecht ein Selbstinterview, das mit der Frage begann: »Sind Sie Jude? – Nein. – Warum stehen Ihre Bücher als undeutsch auf der schwarzen Liste?“ – Die Nationalsozialisten halten nur einen Teil aller Deutschen für Deutsche.
BRECHTLEBTDOKU 09. November 2021
DOKUMENTATION Ruhrepos 01 - 04