Kein Witz- mit „Schalömchen“ gegen Antisemitismus?
Wie der aufhaltsame Nationalismus unsere hilflose Gesellschaft medial unterwandert
»Diese Bahn ist ein wundervolles Zeichen der Stadt an die Gesellschaft – gegen Antisemitismus und Gewalt. Danke für diese tolle Unterstützung«, twitterte der wachsam-aktive Volksmund, >User< genannt, begeistert über den Kanal der Kurznachrichten: Jüdisches Leben in D. Gemeint sind die Linien 1 und 15 der Kölner Straßenbahn, die ab 2021 für zwei Jahre »in viele Winkel« der Stadt fahren werden. Anlass ist die 1700-Jahrfeier eines Dekrets, das der römische Kaiser Konstantin im Jahr 321 an den Kölner >Stadtrat< gerichtet und mit dem er den >Juden< in seinem Reich das Bürgerrecht >geschenkt< hat. Die Oberbürgermeisterin von Köln Henriette Reker, Felix Schotland vom Vorstand der Synagogen- Gemeinde, Andrei Kovacs vom Verein »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« und die KVB- Vorstandsvorsitzende Stefanie Haaks stellten das >Schalömchen< mit Judenstern und Gemeinschaftslogo auf dem Neumarkt feierlich auf die Schiene. Sie betonten neben ihrem »Bekenntnis zu unserem jüdischen Erbe«, die Tram solle auch dazu beitragen, »dass Antisemitismus in unserer Stadt keine noch so klitzekleine Berechtigung findet, dass Hass und Hetze kein Teil der Kölner Lebensart, kein Teil des Kölner Denkens und der Kölner Politik sind«. 2.351 antisemitische Straftaten haben die Behörden im Jahr 2020 registriert, rund 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Das ist ein neuer Höchststand seit Beginn der Erfassung antisemitischer Straftaten in der Statistik zur »Politisch Motivierten Kriminalität« 2001. Vermutlich wird die Zahl noch weiter steigen. Betroffene haben oft kein Vertrauen darin, dass die Behörden sie ernst nehmen oder sich durch die Anzeige etwas ändere. Ob eine Tat als antisemitisch eingestuft wird, hängt zudem davon ab, was Beamt*innen über Antisemitismus wissen und wie sensibel sie dem Thema begegnen. Organisationen arbeiten daran, das Dunkelfeld zu erhellen. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) hat die Arbeit 2015 in Berlin begonnen, mittlerweile arbeitet die Stellen bundesweit. RIAS führt eigene Statistiken über antisemitische Vorfälle und ist eine Anlaufstelle für Betroffene. https://mediendienst-integration.de/news.html?no_cache=1 (Stand: 4. Mai 2021) Die Verbrechen gehen offen auf die Straße –   Alle gucken zu. SA-Posten versperren am Boykott-Tag des 1. April 1933: »Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!« das Kaufhaus Knopf in Lörrach.◄ Ab September 1938 ist das Warenhaus Knopf in Karlsruhe wieder ganz urdeutsch... die Friedrich Hölscher KG >übernimmt< das >arisierte Haus<. Die Wiedergutmachung fährt Bim-Bim –      Alle schauen hin. Bubales – Puppentheater »Jüdische Kultur kinderleicht erklärt: »Bubales« ist das älteste jüdische Puppentheater in Deutschland. In kurzen – oft humorvollen – Videos führen die >bubales< (Puppen) ihre Publikum in die Welt der jüdi- schen Feiertage. Ein echter Spaß für Groß und Klein, bei dem das Publikum nebenbei etwas über jü- dische Bräuche lernt. – Die »bubales« sind seit über zehn Jahren ein wichtiger und fester Bestandteil des Kulturprogramms in zahlreichen jüdischen Gemeinden.« (Home-Page im Internet) Der tägliche Antisemitismus kommt als Kulturgut ins Fernsehen – »Hoppla, Hoppla« (Nazi-Folklore 1937 im Film von 2018) –                                                                          Alle sehen nichts. »Unsere ehrenamtlichen Gutachter*innen sind allesamt Filmexpert*innen, die MACKIE MESSER – BRECHTS DREIGROSCHENFILM auf Grundlage unserer Kriterien in der Kategorie Spielfilm bewertet haben. Unabhängigkeit ist das erste Prinzip der FBW. Mit Sicherheit könnte man jeden Film, der auf einem konkreten Ereignis basiert, der Verfälschung historischer Fakten überführen. […] Vielleicht ist die Darstellung des Seymour Nebenzahl eine stereotype oder eine im Sinne der Dramaturgie ste- hende funktionalistische, die aber keinesfalls auf seinen Glauben rekurriert. Eine antisemitische Tendenz haben unsere Jurymitglieder daher nicht gesehen – ebenso wenig ist eine solche Tendenz in der Filmkritik abgebildet.« (FBW, 26.02.2021 an J.K; das Foto zeigt Lars Eidinger als Brecht im Ballhaus; im Hintergrund tönen die Metropol-Vokalisten »Hoppla, hoppla« aus dem Nazi-Film »Die Warschauer Zitadelle« von 1937). Schon 2018 war es notwendig geworden, das Amt eines Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus einzurichten und entsprechend für alle Bundesländer Antisemitismus - Beauftragte der jeweiligen Länderregierungen zu berufen. Diese sind jetzt zwei Jahre im Amt. Sie würden, gefragt, sicherlich jeden Buchstaben, den Felix Schotland zum 1700 - Jubiläum in Köln formulierte, unterschreiben: Antisemitismus darf »keine noch so klitzekleine Berechtigung« finden. Nur: Wie sehen die »klitzekleinen« Anrechte und Genehmigungen auf Antisemitismus im Alltag des Bundesrepublik aus? Wie erkennen wir Selbstermächtigungen zum Antisemitismus? Hassäußerungen, verbale oder körperliche Attacken sind greifbar, benennbar, offen sichtbar. Was aber, wenn sich die >klitzekleinen Berechtigungen< unmerklich, verborgen, unterschwel- lig, ja beinahe völlig unbemerkt einschleichen? Und was, wenn diejenigen, die sie sich diese >Berechtigungen< herausnehmen, jeden Verdacht auf Judenfeindlichkeit strikt von sich weisen? Oder diejenigen, die sich schlicht und einfach nicht betroffen sehen, weil sie nichts sehen, wo etwas sein könnte? Oder: Diejenigen, die die Phänomene ganz igno- rieren? Gibt’s nicht. Oder gar die, die den Verdacht auf diejenigen zurücklenken, die ihn erheben? Ihr seid die Unruhestifter, Schnüffler, Nachredner, Muckraker, zu Deutsch: Nestbeschmutzer. Ihr macht alles mies! Wir wollen unsere Ruhe. Wir, die Operateure des Blogs BRECHT- LEBT (es sind zwei: ein nicht-bekennender >Jude< und ein unkenntlicher >Nicht-Christ<), führen hier einen Fall an, den Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland mehr oder weniger >kennen< oder zumindest von ihm gehört, wenn nicht von ihm gelesen oder gar – das dürften bisher um die geschätzten 400.000 gewesen sein – auf einer Länge von 2 Stunden und 16 Minuten, freudig erregt oder gelangweilt oder unbestimmt oder zwiespäl- tig mit Ausdauer im Kino zu Ende gesehen (oder auch erlitten) haben, den Film: Presseheft: Zeitsprung, in Kooperation mit SWR / arte / Velvet ▌│▌││Blatt 6 mit Titel und Film-Motto sowie Besetzung und Stab Es handelt sich nicht um eine Lappalie, sondern um einen gesellschaftspolitischen Vorgang, der ein Massenpublikum erreicht hat. Dessen Brisanz jedoch wurde bisher weder von den Machern des Films noch von den Institutionen und vor allem nicht von den öffentlich-rechtlichen Sendern erkannt. So blieb auch unaufgeklärt, was sich da im Hinter- und emotionalen (musikalischen) Untergrund des Films alles abspielt und verborgen gehalten wird. Solange diese Aufklärung unterlassen wird, so lange bleibt der Fall aktuell. Im Fall des Antisemitismus geht es um >Rufmord< oder >üble Nachrede< oder >Verleumdung< einer historischen Person, in diesem Fall um Seymour Nebenzahl. Er schrieb sich, um sich von seinem >deutschen Stammbaum< abzusetzen, seit der Zeit des USA-Exils »Nebenzal«. In der Verkörperung von Godehard Giese spielt er die zweite Hauptrolle in der Rahmenhandlung des Films. Nebenzal selbst kann seine persönliche Verunglimpfung nicht mehr einklagen, auch seine – durch die Geschichte erheblich dezimierten – Nachgeborenen nicht. Deshalb müssen wir es tun. Was hiermit geschieht, wenigstens auf dem Weg, der uns bleibt, der Weg in die Öffentlichkeit. Da der Film mit mehreren expliziten Hinweisen auftritt, dass er den historischen Tatsachen folgt, und mit Brecht-Zitaten den Anspruch erhebt, >die in die Funktionalität gerutschte Realität< aufzudecken, muss das Publikum davon ausgehen, dass auch die Figurenzeichnung möglichst realistisch ausfällt und folglich die (natürlich im Film: fiktive) Figur des Produktionschefs der Firma NERO, Nebenzahl, der historischen Person des avantgardistischen Filmemachers Nebenzal auch entspricht oder ihr zumin- dest nahekommt und als solche erkennbar bleibt, soweit wir sie – als Nachkommen – durch Zeugnisse verschiedenster Art kennen können (könnten). Gerade heute, wo skrupellos gefaked wird, ist es besonders wichtig, genau hinzusehen. Brecht sagt: Ihr sollt nicht glotzen, ihr sollt sehen. Ein reines Bild, eine Fotografie sagt nichts über die Wirklichkeit aus. Aber Kunst, wenn sie gut gemacht ist, kann etwas über die Wirklichkeit aussa- gen. [Die Kunst sollte] dazu da sein, etwas Schönes zu schaffen, die Wahrheit zu sagen und Sinn zu stiften. (Sandra Maria Dujmovic, Leitende Redaktion (SWR), Dramaturgie, in: Presseheft s.o., Blatt 23) Den Film produzierte u.a. der SWR (ARD) als Spielfilm. Der SWR eröffnete mit ihm auch das Filmfest München 2018 unter geldkräftiger Beteiligung des Freistaates Bayern. Der bayerische Ministerpräsident hielt die Eröffnungsrede und spendete dem Filmfest zum Anlass nochmals 3 Millionen Euro (aus der persönlichen Staatskasse). Ab dem 13. September 2018 schickten die ver- sammelten Produktionsgesellschaften m.b.H. diese ZeitSprung Pictures unter Abfackelung von Wunderkerzen der Firma wildbunch in die Kinos und, als er dort nicht so recht einschlug, gleich drei- mal in die öffentlich-rechtlichen Sender als Fernsehspiel: am 03.01.2020 auf arte, am 09.05. 2020 im 3. Programm des SWR und am 27.02.2021 in 3sat – jeweils unter heftiger Berufung auf das Prädikat »besonders wertvoll«, das die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) mit Sitz Wiesbaden (Hessen) dem >Superkolossalfilm< (Brecht) zugebilligt hatte. Dieser Film trägt den Titel »Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm«. Er versucht auf dem ge- schichtlichen Hintergrund des Gerichtsprozesses, den Bertolt Brecht 1930 gegen die Filmfirma NERO anstrengte, eine >Re<-Konstruktion des Films, den Brecht, weil er den Prozess verlor, nicht drehte und der dann gegen den Willen seines Urhebers als »trauriges Machwerk und eine schamlose Verschandelung der >Dreigroschenoper<« (so Brecht) 1931 auf den Markt kam. Auch wenn Brecht – aus taktisch-juristischen Gründen – diesen Film, den Nebenzal produzierte und zu dem G.W. Pabst die Regie führte, als »Dreck« und »Schund« denunzierte, wurde er ein Welterfolg wie Brechts Oper von 1928 und zählt heute zu den >ewigen< Filmklassikern – mit dem besten Schauspiel-Ensemble, das damals zu haben war und in der Mehrzahl aus der >Schule< von Brechts epischem (anti-aristotelischem) Theater stammte. Der Anspruch der heutigen Filmemacher war nicht nur der, den verhinderten Brecht-Film auf dem Hintergrund der juristi- schen Auseinandersetzung zwischen NERO und Urheber BB doch noch zu >realisieren<, ihr Anspruch war vielmehr auch, Brechts nur angedeutete Vorstellungen >seines< Dreigroschenfilms mit heutigen technischen Mitteln zu über- treffen und ihrerseits ein filmisches Meisterwerk von zeitloser Qualität zu schaffen. Herausgekommen ist nach Ansicht der FBW ein »Film, der Brechts Theaterkunst huldigt, indem er sie meisterhaft auf die filmische Ebene überträgt. Ein wahrhaft Brecht’scher Film« (Urkunde der FBW 2018). Nehmen wir an, er baut sich auf auf den Satz: Die Justiz ist ungerecht, So wird daraus sofort – der Romanform wegen: Ein Richter ist ungerecht, und in einer Fabel wird – der Romanform wegen – daraus:                                   Ein Richter tut etwas Ungerechtes. (GBA 21,538) Diesem veralteten Modell, das aus einer allgemeinen Angelegenheit einen EINZELFALL präpariert, ist der neue Dreigroschenfilm verpflichtet: Er stellt dem Protagonisten Brecht (Urheber), der seinen Film durchsetzen will, den Antagonisten Seymour Nebenzahl (NERO) gegenüber, der sein Geschäft machen will, und lässt sie kontrovers verhandeln, was im Film (hier der Zeit von um 1930) angeblich >geht< und was nicht. Vorgeführt wird das klassische (dramatische) >Duell<. Es gehört zur von BB so genannten >aristo- telischen Dramatik<, zu der Dramatik, wie man es nicht machen darf und soll, will man die Realität der modernen Massengesellschaft sichtbar machen. – Die Erfassung der neuen Stoffgebiete fordert des- halb neue dramatisch-theatralische, aber eben auch neue filmische Mittel und Formen (vgl. GBA 21,302). Brecht bot dafür die »illusionäre Linie« an, die niemand kennt. Das Petroleum sträubt sich gegen die fünf Akte. Der Dreigroschenfilm von 2018 >huldigt< durchaus nicht Brechts Theaterkunst. Vielmehr zitiert er die Muster einer überholten, vor-modernen Dramatik, die auf >Festigkeit, Übersichtlichkeit und Eindeutigkeit< von CHARAKTEREN baut. Entsprechend sprechen seine Figuren, wie Brecht ebenfalls hämisch formulierte, über Geld in fünffüßigen Jamben. Diese Form war >damals< (1930) schon nicht mehr zeitgemäß und ist heute (2018) endgültig auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet. Warum? Weil, wie Brecht im Laufe des Prozesses 1930 der Öffentlichkeit nachwies: Solche Charaktere sind in der Gesellschaft nicht mehr >auffindbar<. Das Berliner Gericht, das über den Fall entschied, gab mit seinem Urteil gegen den Urheber die letzte Bastion der individuellen Urheberschaft buchstäblich dem Markt preis. Die gesetzlich geschützten Werke, definiert als »persönliche geistige Schöpfungen« (§ 2, Abs. 2.2 des UrhG), hatten mit ihrer Vermarktung ausgespielt. Sie folgten längst den facta bruta des Geldes und seinem Markt. Die Industrialisierung hatte aus dem einsamen Schöpfer von Werken einen Produzenten gemacht. Die Zeiten, in der das Kunstwerk als >Ausdruck der Persönlichkeit< gelten konnte, waren endgültig vorbei. Die Kunst benötigte zu ihrer Durchsetzung in der Öffentlichkeit die technischen Apparate. Die waren teuer und gehörten nicht den Künstlern. Die technische (Re-)Produktion war über den Anspruch der in- dividuellen Urheber hinweggegangen. Die Inhalte der Kunst galten nicht mehr dem >Sonder-Ich< mit seinen Befindlichkeiten, sie gingen zum neuen >Massen-Ich< über, das ziellos im neuen Tempo der Zeit und seinen technischen Errungenschaften raste. Brechts »Dreigroschenprozeß« war angetreten, diesen Übergang vom >Charakter< zu >Mann-ist- Mann<, so der Titel von Brechts Lustspiel (1925), als inszenierte Realität am Ende der Weimarer Republik durchzuspielen und damit zu beweisen: Der Einzelne hatte ausgespielt. Das »epische Theater«, das Brecht, unter dem Einfluß des Kinos, propagiert, hat nichts mehr gemein mit dem Theater der Vergangenheit, es kennt keine Individualität mehr. Persönliches, das die Fortentwicklung des Kapitalismus dem Menschen entriß, wird hier auch dichterisch ab- montiert wie die falschen Spannungen der alten Bühne. Er ist vielmehr nur: Dichter dieser Zeit, dieser scheinbar unpolitischen Zeit des Stillstands und Übergangs, des Widerspruchs und der Zusammenrottungen, in der die Tritte der anmarschierenden Massen dumpf in die Erlösungssehnsüchte und Gebete frommer Ästheten hineinklingen. In dieser Zeit hat der Kapitalismus durch die zunehmende Proletarisierung der Massen die wirtschaftliche und kultu- relle Geltung der Einzelpersönlichkeit zerstört. Aus dieser Tatsache hat Bert Brecht die dichteri- schen Konsequenzen gezogen. (Die neue Bücherschau, Band 5, 1927, Heft 2, S. 68-73 über Brecht, zwei Jahre vor der >Dreigroschenoper<) Die »Dreigroschenoper« hatte noch dem >Handwerk< der Räuber, Einbrecher und Mörder mit dem >Messer< gehuldigt. Jetzt übernahmen endgültig die Maschinen, die anonymen Apparate, das Kommando, und die Rechtsprechung legalisierte dies unter Missachtung der Gesetze, die sie zu ver- treten hatte. Dies sollte der Inhalt von Brechts 3 - Groschen - Film werden. Im Film von 2018 ist davon nicht einmal eine Andeutung zu finden. »Die Realität kritisiert die Ideen, die im Wortsinn bankerott sind.« (GBA 21,583) Filmemacher wissen heute nichts mehr von Nebenzahl? Kennen den großen Namen nicht, der auf auf »M« buchstabiert wird, nämlich auf den Titel des legendären Films von Fritz Lang? Das mag ja noch durchgehen. Dass Fachleute, wie die der Expertenjury der FBW, den Produzenten der filmischen Avantgarde nicht kennen und womöglich bei NERO nur an den berüchtigten antiken Brandstifter den- ken, welche Entschuldigung soll es dafür geben? Bestechung oder Inkompetenz (oder beides)? (»Die FBW ist eine wichtige Stimme in der deutschen Filmlandschaft«, verbales >Selfie< der FBW; Februar 2021.) Seymour Nebenza(h)l setzte in dieser Zeit, nämlich in der gespielten Zeit der Film-Handlung zwischen 1928 und 1931, als avantgardistischer Filmeproduzent eine gesellschaftskritische, >linke< Position gegen konservative Widerstände mit seinen Filmen im Kulturleben der Weimarer Republik durch. Er produzierte als Produktionschef u.a. der Firma NERO, gebildet aus Buchstaben der Namen NEbenzahl und Richard Oswald, einem weiteren epochalen deut- schen Filmemacher, zahlreiche >ewige< Klassiker wie Die Büchse der Pandora (1929, nach Frank Wedekinds Lulu), in dem erstmals eine lesbische Frau die Filmbühne betrat, Tagebuch einer Verlorenen (1929), Skandal um Eva (1930, mit Henny Porten), M (1931) oder Das Testament des Dr. Mabuse (1933). Konservative und reaktionär-nationalistische Kritik be- schimpfte in den Medien seine Kunst als >Schmutz und Schund< und rief nach der Zensur. Geboren als Deutsch-Amerikaner einer jüdischen Familie in New York stempelten ihn die Nazis schließlich zum >Juden< nach ihrer Machart ab und vertrieben ihn wie Brecht aus Deutschland. Wir wiederholen nochmals die Urteile einer einsamen Fachkritik und geben eine Auswahl von Belegen der »Fälschung mit Methode« (Helmut G. Asper): In frei erfundenen Szenen stellt er [der Film die Figur Nebenzahls] als schmierigen Geschäftsmann dar – so haben schon die Nationalsozialisten den jüdischen Filmproduzenten gebrandmarkt, bevor sie ihn im März 1933 verjagt und seine Filme verboten haben – was notabene Lang ebenso verschweigt wie die Tatsache, dass Nebenzahl einige der bedeutendsten deutschen Filme der Weimarer Republik pro- duziert hat. (S. 21) Das [die Vermischung von Zitaten] wäre in einer Fiktion durchaus hinzunehmen, wenn Lang nicht dieses verfälschte Bild als historische Wirklichkeit ausgeben und sein Puzzle nicht dazu benutzen würde, um Nebenzahl und seine Nero Film zu diffamieren. (S. 22) Durch diese fortge- setzten Manipulationen von Lang entsteht ein falsches, sehr idealisiertes Bild von Brecht – und ein ebenso falsches, allerdings gänzlich negativ verzerrtes von Nebenzahl. Mit dem Hinweis im Vorspann, dass alle Äußerungen von Brecht auf authentischen Zitaten beruhen, suggeriert Lang dem unvorein- genommenen Publikum, dass er in seinem Film ein historisch wahres Bild der Personen und ihres Streits zeichnet. Fatalerweise hat seine Methode Erfolg, sogar Filmkritiker nehmen Langs Film als bare Münze. (S. 24). (Helmut G. Asper: »Denn wahrlich, er wird Sie heimsuchen«: Eine Verteidigung des jüdischen Filmproduzenten Seymour Nebenzahl gegen Joachim Lang, Bertolt Brecht & Co. In: Dreigroschenheft. Informationen zu Bertolt Brecht. 28. Jg., Heft 1/2021, S. 21 - 37.) Godehard Giese als Nebenzahl; Anzug, Weste, Geschäftsmann; Haltung überlegen lässig, von oben herab, taxierend (Du hast ja keine Ahnung) Lars Eidinger als Brecht, modisches Leder, fingernd, verle- gen grinsend, Herablassung spielend (Deine Meinung interessiert mich nicht) Nebenzahl: Stop! – Stop. Einen Moment, bitte. Herr Brecht, Sie sind verrückt geworden! Wissen Sie, was allein diese Szene kostet [Hochzeitsszene im Schloss]! Sie ruinieren mich! Filmlänge: 00:31:34ff. ║║ Szene vor/über den Brücken der Themse; zwei Monde Nebenzahl: Das geht zu weit. Das ist zynisch. Das akzeptiert das Publikum nicht. Es ist nicht nach seinem Geschmack. Brecht: Dieses verzwickte, kostspielige und einträgliche Ding Publikumsgeschmack hemmt den Fortschritt. Es wird von Leuten in den Inseratenabteilungen vertreten. Nebenzahl: Wir wissen, was ankommt beim Publikum. Brecht: Wie bitte? Ich habe das Stück geschrieben, den Welterfolg, den Sie verfilmen wollen. BB-Original: »Dieses verzwickte, kostspielige und einträgliche Ding Publikumsgeschmack hemmt den Fortschritt. An der zunehmenden Einflussnahme der Käufer auf das Wie des Produkts ist nicht zu zweifeln, und sie wirkt sich reaktionär aus. Für unsere Fortschrittler er- hebt sich die Notwendigkeit , eine solche Einflußnahme zu bekämpfen. Sie wird vertreten durch die Filmaufkäufer, provinzielle Organisatoren des Marktes. Genau besehen, sind es sogar Leute, die das Amt auszuüben sich erlauben, das eigentlich der Presse selber, unsern Metaphysikern im Feuilletonteil zusteht, nämlich die Auswahl des für den Verbraucher Richtigen zu treffen. Man muss sie also bekämpfen,  da sie reaktionär sind. Nun, es ist für un- sere Metaphysiker nicht schwer, sie zu finden: sie halten sich in den hinteren Räumen ihrer Blätter auf, in den Inseratenabteilungen! Dort sitzen die Physiker zusammen und unterhalten sich über den Publikumsgeschmack. (GBA 21,471) Brecht: Auf dem Gebiet der Kunst betätigen Sie und Ihre Leute den Verstand einer Auster. BB-Original: »Auf dem Gebiet der Kunst betätigt er den Verstand einer Auster« (GBA 21,468 = der traditionelle Regisseur, der auf Gefühle und Einfühlung setzt). (Filmlänge 00:32:31) Filmlänge 00:51:50 ║║ Szene im Büro der Nero (mit dem >Chefdramaturgen< ohne Namen = Wilhelm Löwenberg, Produktionsleiter bei NERO; den Posten eines Dramaturgen gab es dort nicht Nebenzahl: Sie wollen eine politische Tendenz in den Film hineinbringen. Auf dem Theater ist es das gute Recht jedes Künstlers. Aber im Film können wir uns eine derartige Spezialisierung der Weltanschauung ohne schweren geschäftlichen Schaden nicht gefallen lassen. Brecht: Auf Ihr Kapital nehme ich keine Rücksicht. Ich habe einen Vertrag. Nebenzahl: Ich kenne den Vertrag, aber hier geht es um mein Geld! Sie hätten ja Ihr Werk nicht verkaufen müssen. Ehre dem Dichter, der sein Werke nicht verfilmen lässt. 00:52:37 Brecht: Ihrer Ansicht nach handeln wir also, wenn wir uns mit Ihnen einlassen, wie jemand, der seine Wäsche in einer Drecklache zum Waschen gibt und dann beklagt, sie sei verdorben. Sie meinen, sie haben durch den Kauf das Recht erworben, das Gekaufte zu ver- nichten oder zu verschandeln. BB-Original: »Feine, aber wichtige Unterschiede / Die herstellende Firma behauptet, dass Brecht eine politische Kampftendenz in den Film hineintragen wollte. / Nach der ganzen Einstellung des Dichters ist das auch als wahrscheinlich anzunehmen. / Auf dem Theater ist das das gute Recht jedes schaf- fenden Künstlers. Aber im Film können wir uns eine derartige Spezialisierung der Weltanschauung ohne schweren geschäftlichen Schaden nicht gefallen lassen. (= Fremd-Zitate aus: Kinematograph, Berlin, 18. Oktober 1930; vgl. GBA 21,455) ║▐ »Ehre dem Dichter, der grundsätzlich seine Werke nicht verfilmen lässt… Er steht vor der Wahl, sein Werk nicht zur Verfilmung zuzulassen, was sein freier, künstlerisch sicher hoch zu schätzender Wille ist, oder wenn er den materiellen Verdienst haben will, so muss er sich ein für allemal damit bescheiden... (Frankfurter Zeitung, der Anwalt der Filmfirma, Dr. Frankfurter.)« / Viele sagen uns, und diese Ansicht vertritt auch das Gericht: wenn wir unser Werk an die Filmindustrie verkauften, so hätten wir uns eben jedes Rechtes begeben, die Käufer erwürben sich durch den Kauf das Recht, das Gekaufte auch zu vernichten, das Geld galt jeden wei- teren Anspruch ab. Wenn wir uns mit der Filmindustrie einließen, so handelten wir, nach Ansicht dieser Leute, wie jemand, der seine Wäsche in einer Drecklache zum Waschen gibt und sich dann beklagt, sie sei verdorben. Die uns so abraten, diese neuen Apparate zu benützen, bestätigen diesen Apparaten das Recht, schlecht zu arbeiten […].« (GBA 21,464) Filmlänge 1:20:15ff.  ║║ Szene im Büro der Nero Chefdramaturg: Abgehauen, einfach abgehauen. Nebenzahl: Ja, weiß ich doch. Ist auch in der Oper so. Chefdramaturg: Brecht – Brecht ist abgehauen! Nebenzahl (erstaunt): Was? Chefdramaturg: Ja – Brecht ist an die französische Riviera abgehauen. Da schreibt er uns: »Ich möchte niemals in die entsetzliche Lage kommen, den Herrn von der Nero klarmachen zu müssen, wie man ein künstlerisches Manuskript für einen Dreigroschenfilm macht.« Nebenzahl: Da ist eine Unverschämtheit. Ich verklage ihn wegen geschäftsschädigendem Verhalten. Sie reisen ihm nach und bringen ein Drehbuch mit, das meine Investitionen bezahlt macht! Quelle (nicht authentisch und sehr nachträglich): In der Zeitschrift Filmtechnik - Filmkunst, Berlin/Halle, vom 27. Dezember 1930 schreibt Hans Erdmann über Brechts Verhalten gegenüber der Nero-Film AG. Statt am  Drehbuch mitzuarbeiten, habe er sich nach Südfrankreich aus dem Staub ge- macht. »Herr Brecht fährt ins Ausland in dem Augenblick, wo für ihn eine – so muß man doch schlie- ßen – ungemein wesentliche Sache zur Entscheidung steht.« Brecht habe in einem (nicht überlieferten) Brief an die Firma geschrieben: »Ich möchte niemals in die entsetzliche Lage kom- men, Herrn Nebenzahl oder Herrn Löwenberg auf Grund eines Vertrages klarmachen zu müssen, wie man ein künstlerisches Manuskript für einen Dreigroschenfilm macht.« (Fremd-Zitate; nicht überprüfbar) Filmlänge: 1:24:43ff. ║║ Szene Landstraße; Brecht mit Elisabeth Hauptmann im Auto Hauptmann: Ein Auto als Honorar für eine Werbegedicht; das hat noch keiner geschafft! Brecht: Brechts Endreime sind die besten. […] Hauptmann: Eine Verfolgungsjagd ist eine gute Idee. Aber – das werden wir uns nicht leisten können. Für Deinen Film wird [sic ] die Industrie und der Staat kein Geld ausgeben. Brecht: Dann zeigen wir … Die Szene und diese Autofahrt (mit Anmache Hauptmann) sind frei erfunden. Der Unfall war am 20. Mai 1929. Brecht fuhr nicht gegen einen Baum. Er wurde schwer verletzt, eine Verletzung, welche die DDR-Forschung im Verein mit den Brecht-Erben in einen Mythos umformte. https://www.welt.de/kultur/plus203044268/Der-Dichter-und-sein-Cabrio-Bert-Brecht-der-gekaufte- Kommunist.html
Filmlänge: 00:00:52; Zitate versprechen Authentizität                       01:34:54; authentisches Datum; Nebenzahl vor Gericht im  Film
„Vom Eierhandel zur erfolgreichen Produzenten-Dynastie..“ Wohl aber findet sich ein versteckter, verborgener und deshalb perfider Antisemitismus, der seine durchaus nicht >klitzekleine< Berechtigung mit großen Worten maskiert und gleichzeitig be- hauptet: die >Wahrheit< hinter den historischen Ereignissen von damals freizulegen. Keine Red‘ davon. »Vom Eierhandel zur erfolgreichen Produzenten-Dynastie – die deutsch-amerikanische Familie Nebenza(h)l zeichnete für die rasante Entwicklung des Unterhaltungsfilms in den 1920er Jahren ebenso mit- verantwortlich wie für etliche Höhepunkte des Weimarer Kinos, und ihre innovative Filmpolitik gelangte über das französische Exil bis nach Hollywood. So lieferte Heinrich Nebenzahl mit erfolgreichen Harry-Piel- Serials das finanzielle Fundament, auf dem sein Sohn Seymour Nebenzahl die ambitionierteste Produktionsfirma der Weimarer Republik errichtete: Die Nero-Film war nicht nur die künstlerische Heimat für Regisseure wie G.W. Pabst und Fritz Lang, sondern blieb auch in den folgenden Jahrzehnten unverwechselbarer Marken-Name für europäische und transatlantische Kooperationen, mit denen Seymour Nebenzahl – später gemeinsam mit seinem Sohn Harold – diese beispiellose Film-, Firmen- und Familiengeschichte fortschrieb.« (Werbetext) – München: edition text+kritik 2002. Das Werk ist Teil der Reihe: Ein CineGraph Buch.
00: 28: 22:
Fälschung und Original
Teil 1
BRECHTLEBTAKTUELL 09. Mai 2021
AKTUELL Mit „Schalömchen“ gegen Antisemitismus 02
AKTUELL Hoppla, Hoppla- nur ein Versehen?