von Fritz Lang (Regie) mit Peter Lorre in der Hauptrolle ist ein früher deutscher Tonfilm, 1931 produziert von der Nero-Film AG in Berlin. »Langs erster Tonfilm gehört zu den Meisterwerken des deutschen Vorkriegskinos. Verweise auf das gesell- schaftliche Klima der Weimarer Republik am Vorabend des Nationalsozialismus sind augenfällig: Obrigkeit und Unterwelt erscheinen als gleichartige Organisationen, die den >Abartigen< im Namen des >gesunden Volksempfindens< gemeinsam zur Strecke bringen. Langs sarkastische Schilderungen von Menschenjagd und Massenhysterie sowie Peter Lorres geniale Interpretation des Mörders als Täter und Opfer zu- gleich wurden von den Nationalsozialisten später nicht ohne Grund als subversiv empfun- den.« (Lexikon des Internationalen Films, 2018) Zusammen mit der Prometheus-Film-Gesellschaft, die der KPD nahestand und als >proletarisch< galt, bildete die NERO am Ende der Weimarer Republik eine letzte Bastion gegen den schon längst offen auftretenden Nazi-Terror. Während Prometheus vorwiegend die Filmklassiker der Sowjetunion in Deutschland vertrat und als letzten Film »Kuhle Wampe« von Brecht-Dudow-Eisler produzierte, übernahm die NERO die gesellschaftskritische Tradition des bürgerlichen Films, die sich vor allem mit dem Namen Richard Oswald verband. Das Label NERO, gebildet aus den Anfangsbuchstaben der Produktionschefs Seymour Nebenzahl und Richard Oswald, wurde 1925 gegründet. Zur Zeit des Dreigroschenprozesses (1930/31) hatte sich die NERO als füh- rende Produktionsstätte avantgardistischer Filmkunst in Europa etabliert und war auf dem Weg, sich Weltgeltung zu verschaffen. Den Dreigroschenfilm von G.W. Pabst (1931) ließ Nebenzahl gleichzeitig in französischer Version drehen, und Warner Brothers (USA) gehörte bereits zu den Finanziers. Es brauchte nicht erst der legalen Machtübergabe an die Nazis durch das bürgerlich-demokratische Parlament der Weimarer Republik (ohne die Stimmen der SPD und der KPD), um die fortschrittliche Filmbranche in Deutschland zu zerschlagen und ihre Ästhetik, damals noch >Lichtspiel< genannt, zu liquidieren. Die Nazi-Propaganda setzte an dessen Stelle, unter hemmungsloser Ausnutzung der techni- schen Möglichkeiten, Lichtspiele glänzender Illuminationen, verbunden mit den offenen Lauffeuern mythisch-mystischer Masseninszenierungen, zelebriert und gefürchtet in der großstädtischen Öffentlichkeit, sobald der Abend dämmerte und die Nacht einbrach. Die Nero-Film AG musste ihre Arbeit einstellen. Seymour Nebenzahl wurde, um sein Leben zu ret- ten, 1933 zur Emigration gezwungen. In Paris und Los Angeles führte er dann verschiedene Filmproduktionsfirmen unter dem prominenten Namen der Nero-Film weiter. Die internationale Filmzeitschrift »Cahiers du Cinema«, mit Sitz Paris, führt »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« in ihrer Liste der 100 besten Filme aller Zeiten an prominenter 6. Stelle. Der Name Nebenzahl, den Seymour im amerikanischen Exil zu >Nebenzal< abänderte, um den Beiklang >deutschen Sinns< zu vermeiden, müsste – so wäre anzunehmen – in der deutschen Filmbranche von heute noch bekannt sein, vor allem dann, wenn er sogar unvermutet in einem deut- schen Spielfilm eine Hauptrolle erhält, die er in der Wirklichkeit – jedenfalls in dieser Geschichte nicht – nicht gespielt hat. Alfred Mühr (1903-1981) beschloss, nachdem er seine Bildung auch ohne Abitur als genü- gend ausgereift befand, Journalist zu werden. Seiner Gesinnung entsprach die »Deutsche Zeitung«, deren Feuilleton er nutzte, um der Weimarer Republik den »Kulturbankrott« zu prophezeien und eine >rechtsgeistige< Kultur des Nationalismus zu propagieren. ║ Am 23. März 1927 inszenierte Erwin Piscator »Gewitter über Gotland« von Ehm Welk an der Berliner Volksbühne. Mühr nahm diese Inszenierung zum Anlass, dem konservativen Bürgertum der Republik den griffigen Begriff des »Kulturbolschewismus« zu besorgen. Mit ihm ließen sich alle unbequemen >Phänomene< der industrialisierten Massengesellschaft und des sich etablieren- den Konsumkapitalismus – wie Gleichschaltung, Massenlenkungen, Propaganda als Reklame und Gehirnwäsche, Auslöschung der Persönlichkeit – als Ausgeburt sowjetisch-bolschewistischer Gleichmacherei sowie einer linken kol- lektivistischen Menschenverachtung erfolgreich überschreiben. ║ Von da ab versah Mühr >Kultur< mit dem Attribut >rechtsgeistig<, mit einem Wort, das der deutsche Wortschatz zum Glück nicht auf- genommen hat (vgl. DWDS, Das deutsche Wörterbuch von 1600 bis heute). Für ein solches Theater reichten teutsches Blut und rechtsamer Gesichtsschnitt aus. ║ Mühr stieg auf. Er wurde 1934 Schauspieldirektor und stellvertretender Generalintendant der Preußischen Staatstheater (im Plural) sowie Dozent an der angegliederten Schauspielschule. ║ Daneben schrieb Mühr zahlreiche Aufsätze und Bücher, verfasste Hörspiele und drehte 1937 den Film: »Die Warschauer Zitadelle«. ║ Bis 1945 verblieb Mühr auf diesen machtbesetzten Funktionen als die >rechtsgeistige Hand< von Gustaf Gründgens im Amt, bei jenem Gründgens, der ab 1937 von den Nazis als Generalintendant der Preußischen Staats-theater (im Plural: es waren drei: Theater am Gendarmenmarkt, Kleines Haus, Lustspielhaus) bestallt worden war. Nach dem Krieg verstand es Mühr – wie etwa sein Kumpan Ernst von Salomon – sich aller Vergangenheit zu entäußern, schrieb weiter fleißig Bücher und meldete sich erneut in seiner Rolle als Stammesbruder deutscher Theater-Geschichte zu Wort, diesmal nicht nur als Blut-, sondern auch als Zeitzeuge. Mit seinem Buch »Rund um den Gendarmenmarkt. Von Iffland bis Gründgens. Zweihundert Jahre musisches Berlin«. Oldenburg: Gerhard Stalling Verlag 1965 (Stalling, ein Verlag mit nationalsozialistischer Tradition) eignet er sich erfolgreich die >Kunst< an, seine Nazi- Vergangenheit zu Ereignissen seiner Bürgschaft zu drehen und wenden: Jürgen Fehling und Leopold Jeßner, die >Verwüster rechtsgeistiger Theaterkultur<, betreten in diesem Buch, aufge- mischt als Helden, die Bühne seiner (Mührs) Theatergeschichte. Der >Kulturbolschewismus<, der den Krieg gut genährt und in Stahlgewittern neu an- und eingefettet blendend überlebte, macht dies möglich. Ein Nazi-Verlag stellt sich schamlos hinter diese Geschichtsklitterung und erneuert mit ihr die »Bürgerwehr der deutschen Kultur«, die heute auch wieder »Heimatschutz« genannt wird. So sieht Alfred Mührs >Bedeutung in der Theatergeschichte Berlins< tatsächlich aus: 1927 kämpfte der >beste Kenner der historischen Unterlagen< an vorderster Front gegen die >Verwüstung< des TEUTSCHEN THEATERS durch »Judenspieler«. Am 19. April verfertigte er für die Deutsche Zeitung, Berlin, unter dem Titel »Neue Willkür im Staatstheater«, ein Plädoyer für die Reinhaltung der Rasse an. Walter Franck antwortete in der Vossischen Zeitung am 21. April 1927, Abendausgabe: Der westdeutsche Kritiker Friedrich Luft schrieb 1962 in seinem Nachruf in »Theater heute«, Heft 9: »Walter Franck schien geschaffen, alle Übeltäter, alle Brunnenvergifter, alle Schubjaks und Teufel der großen Weltliteratur zu spielen. Und er spielte sie ziemlich alle – und er spielte sie grandios.« Nicht verschwiegen sei, dass ein gewisser Bertolt Brecht mit diesem Alfred Mühr Anfang September 1950 in München zusammentraf. Das Treffen habe in einem Gartenlokal von München stattgefun- den. Dabei habe ihm Brecht – so jedenfalls berichtet es Mühr – die Leitung eines Gastspieltheaters mit Sitz in Augsburg, einer Art AE (Augsburger Ensemble) im Westen, angeboten. Es sollte sein »ein Brecht-Ensemble mit Schauspielern von drüben [aus der DDR], die wechseln, und hier [in Augsburg] mit dem Stamm [residieren], auf hohem Niveau, kein Kurtheater, keine Galabühne für die Provinz, kein Stargastspiel«. Ein weiteres Gespräch, das sie für den nächsten Tag in der Perlachstube an der St. Peter-Kirche in Augsburg verabredet hätten, fand nicht mehr statt. Das AE blieb Gerücht (vgl. Mühr: Deutschland, deine Söhne. München 1977, S. 309, 317). Es könnte jedoch sein, dass Brecht über Mühr eine Verbindung zu Gustaf Gründgens herzustellen suchte, gibt es doch das legendäre Telegramm des Rückkehrers vom 18. Januar 1949 an den ehe- maligen Theaterleiter Gründgens von Görings Glanz und Gnaden. Es hatte den Wortlaut: »Sehr ge- ehrter Herr Gründgens! / Sie fragten mich 1932 um die Erlaubnis, >Die heilige Johanna der Schlachthöfe< aufführen zu dürfen. Meine Antwort ist ja. Ihr bertolt brecht«. Die weitere Verarbeitung rechtsgeistiger Weltanschauung und ihrer Musikalität im Dreigroschenfilm von 2018 erfolgt durch den Nachweis von Fakten. Es sind facta bruta, keine Ansichten oder Meinungen. Die Musik Wie immer das Genre des Mackie-Messer-Films zu bestimmen wäre, ob als Musical, als Operette, als Stück mit Musik, als Revue oder auch als Unterhaltungsoper, das vorhandene >Material< der ur- sprünglichen »Dreigroschenoper« ist so umfangreich, dass es ausreichte, um mit ihm eine Verfilmung reich und üppig zu bestücken; denn um >Stücke< im Stück ginge es nach Brecht, um Einlagen und Auftritte, um musikalische Anstöße zum Denken, nicht um Dauergedudel und Einlullerei. Zu rechtfertigen ist die Neukomposition für den »Gründungssong der National Deposit Bank« durch Kurt Schwertsik, zu dem keine Musik vorlag, weil Brechts Film ja nicht zustande kam. Wäre für die Szenen im Ballhaus (oder wie es im Drehbuch heißt »im Tanzlokal«) noch zusätzlich Unterhaltungs- und Tanzmusik nötig gewesen, dann hätte die vorhandene Dreigroschenmusik für zwei Filme ausge- reicht. Allein das Angebot der orchestralen Einspielungen aus der Zeit um 1930/31 hätte mindestens eine halbe Stunde >Hintergrundmusik< abgeben können, die Brecht allerdings rigoros ablehnte, weil die Künste selbstständig bleiben sollten. Die >Songs< der Oper belaufen sich auf 17 Stücke. Ihre Berücksichtigung in vollem Umfang hätte der eigentlichen Handlung kaum mehr Zeit gelassen. Wenn sich die Macher des Films von 2018 zudem an den überlieferten Brecht-Weills-Songs der Zeit orientiert hätten, wie sie es mit dem »Surabaya-Johnny« nicht gehalten haben – er gehört nicht zur »Dreigroschenoper« –, dann wäre auch eine sechsstündige Wagneroper nach Brecht im Bereich des Möglichen gewesen. Dem Anspruch, Brechts »Vorstellung vom >Dreigroschenfilm< […] radikal, kompromisslos, politisch, pointiert« (Presseheft, S. 7) umzusetzen, widersetzt sich politisch radikal und pointiert kompromisslos die Tatsache, dass ein der Oper unbekanntes, aus Nazi-Diensten ererbtes Kraft-durch-Freude Liedchen »Hoppla, Hoppla!« aus dem Jahr 1937 ins Zentrum des mehr als 2-Stunden-Opus rückt. Es tritt an folgenden Stellen auf: Szene Ballhaus (1): Carola Neher betritt betrunken das Lokal, torkelt auf die im Vordergrund sitzende Gruppe Hauptmann-Lenya-Weill-Brecht zu, stolpert über ihre eigenen Füße – und Lotte Lenya kommentiert spöttisch: »Hoppla!« (Filmlänge: 00:11:48). Szene Ballhaus (2): Carola Neher haucht Brechts Worte »Das Leben ist wahnsinnig« dem Film-Brecht ins Ohr. Gleichzeitig beginnt im Hintergrund orchestral das »Hoppla, Hoppla«-Lied in vol- ler Länge und geht dann in den gesungenen Chorus über (Filmlänge: 00:11:22 bis 00:12:55). – Carola Neher wird durch ihre Trunkenheit sowie durch den frivolen Inhalt des Liedchens als Flittchen, in Lion Feuchtwangers Worten gesagt: als >nette, kleine Hur<, denunziert. Das Lied definiert >Liebe< als eine Reihe von gelungenen One-Night-Stands für den Mann, während die Frauen >na- türlich< das für sie Übliche erwarten: Treue, Liebesschwüre. Das hätte (wie die eingestreuten Minisekunden für weibliches ObenOhne) ein Fall für MeToo werden können, wenn da nicht vorsätzli- ches Augenschließen angesagt gewesen wäre. Szene Liebe auf den ersten Griff: Der Moritatensänger (Max Raabe) singt: »Und ein Mensch kam um die Ecke« (Filmlänge: 00:20:39); »hinter dem bewun- derten Mädchen stehend, faßt er [Macheath] plötzlich über den Nacken den schmalen Hals mit Daumen und Mittelfinger – allzu geübter Griff eines Verführers der Docks«. Polly dreht sich ver- wundert um und schaut Mac in die Augen. Das »Hoppla« bleibt zwar unausgesprochen, wird aber durch die (scheinbare) Wiederholung der Szene mit der Hure Jenny am Schluss des Films (s. d.) sinnstiftend konnotiert. Szene Bordell/Verrat: Die Spelunkenjenny singt die »Seeräuber-Jenny« als Kommentar zu ihrem Verrat an Macheath. Dieses Lied enthält das echte »Hoppla« der »Dreigroschenoper«. Die Szene ist eine Kopie; sie ist übernommen aus dem Dreigroschenfilm von G.W. Pabst, den Brecht als >Dreck< qualifi- zierte und gegen dessen Herauskommen er den ganzen Dreigroschenprozess angestrengt hatte. ║▌Brecht strich den Song ersatzlos, weil die ursprüngliche Szene und alles, was um sie herum stattfindet, durch die Verlegung der Hochzeit als >gesellschaftliches Ereignis< in die Reithalle des Herzogs von Somersetshire für den Film völlig neue Arrangements erfordert hätte. Die Seeräuber-Romantik hatte ausge- spielt. Der Räuber mussten längst die Regeln der Gesellschaft beherrschen (durchweg schlüpfrige) und Haltung einnehmen (durchweg fragwürdige). Die Übernahme von Pabsts ei- genwilliger Lösung für den bekanntesten Song der Oper zieht dem Haifisch alle die Zähne aus, die der neue Film doch wieder einsetzen wollte. Das Foto zeigt Britta Hammelstein beim Artikulieren des HOPPLA (Filmlänge 01:55.16). Und es werden kommen Hundert gen Mittag an Land Und werden in den Schatten treten Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür Und legen in Ketten und bringen zu mir Und fragen: »Welchen sollen wir töten?« Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen Wenn man fragt, wer wohl sterben muß Und dann werden sie mich sagen hören: »Alle!« Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: »Hoppla!« Und das Schiff mit acht Segeln Und mit fünfzig Kanonen Wird entschwinden mit mir. Ernst Blochs große Worte über die subversive Kraft des Songs in der Oper verlieren endgültig alle radikalen Bezüge: »Der himmlische Bräutigam erscheint der Schubertchen Nonne, die hier die Seeräuberjenny ist, als Privat, und das Hoppla ist so apokalyptisch, wie man nur will.« ║▌Dieses Verfahren setzt unschöne Manipulationen fort. Lotte Lenya, die den Song in der Verfilmung von Pabst vor- trug, wurde zur >Seeräuberjenny< und als solche zu einer Figur der Oper, eine Rolle, die die Handlung des Stücks nicht kennt. Mit dieser Rolle wurde dann die ihn vortragende Schauspielerin, Lotte Lenya, identifiziert, so dass sie beide nach dem Motto >Frau ist Frau< zur Personalunion verschmolzen: Lotte Lenya=Seeräuberjenny. Auch das be- rühmte »Hoppla!« musste mitziehen und als Titel für ganze Musik-Alben herhal- ten. Sie vertreten ab 2006 die musikali- sche »Weill-Lenya-Biographie« und tradieren den Stoff sowie Personal auf eine Weise, dass die ursprünglichen Zusammenhänge nicht mehr erkennbar sind. So entstehen Phantome, die sich anstelle der realen Personen in den Köpfen eingenistet haben und >überleben<. Die Musikindustrie und in diesem Fall die Weill-Foundation und nicht zuletzt die >interessierte< Musikwissenschaft, hier vor allem die Weill-Spezialisten, arbeiteten daran kräftig mit. Dieser erfolgreiche Fake hatte denn wiederum zur Folge, dass ganze Romane entstanden sind und ihnen womöglich weitere >Narrative< nachfolgen werden. Die neueste Variante liefert die Roman- Biografie Lotte Lenya und das Lied des Lebens von Eva Neiss, einer studierten Germanistin. Nach der Werbung des S. Fischer Verlags, Frankfurt a. M. 2020, kennt sich Neiss in der >wechselhaften Geschichte der 1920er und 1930er Jahre< wie auch in der >Musik dieser Zeit< blendend aus: »Lotte Lenya ist die wohl bekannteste Sängerin der Dreigroschenoper. […] An Weills Seite gelingt ihr […] der Durchbruch, sie lernt Bertolt Brecht kennen und spielt die Seeräuber Jenny in der Dreigroschenoper. Doch die Liebe des Künstlerpaars ist Höhen und Tiefen ausgesetzt …« Weiterzulesen preiswert auf 336 Seiten im Taschenbuch. Szene an der Themse/Moritatensänger: Mac ist – wie ein Pop-Star (so versteht es die Regie) – ein bekannter und gesellschaftlich allgemein anerkannter Mann (= Boss) geworden und verteilt stolz Autogrammkärtchen mit seinem Bildnis (wie sinnig). Erneut wackelt ein (weiblicher) Hintern vor- bei, dem der hohe Herr Bankier mangels profaner (= nicht geldgetränkter) Gelegenheiten wieder ein- mal nicht auszuweichen vermag. Er wird aber diesmal nicht beschließen, auch diesen Hintern zu heiraten, den >allzu geübten Griff eines Verführers der Docks< lässt er sich nicht entgehen, müssen doch die alten Gewohnheiten bei allen Wandlungen und Verwandlungen weiterhin geehrt werden. Diesmal greift er daneben: »Hoppla! Verzeihung, ein Versehen, tut mir leid« (Vorsicht: Ironie). Wow! Es ist Jenny’s Hintern. Dieser wird freilich erst an ihrem Gesicht kenntlich, ob- wohl Mac diesen Hintern doch hoppla-hopp, auch unterm Kleid ohne weiteres, wie heißt schon bib- lisch? >erkennen<, genauer: wiedererkennen sollte (Filmlänge: 02:04:52). Bleibt noch der Trailer: Nach kitschiger Auftakt-Musik nach dem Motto >Eine Nacht in Venedig auf der Themse unter den Mondgesichtern von Soho<, die mit sägenden Geigen falsche Romantik an- deuten soll, geht die Musik orchestral über in das »Hoppla, Hoppla!«-Lied und stimmt das Publikum ganz im Sinn des Komponisten Werner Bochmann »graziös, aber sehr rhythmisch« in den Takt des Films ein. Foxtrott ist angesagt, der mit wenigen Schritten auskommende Gesellschafts- und Paartanz, der auch bei >einfachen Gemütern< ins Blut geht und in der Regel der Tanz bleibt, der von >allen< einigermaßen >beherrscht< werden kann. »Mit seinen frohen und natürlichen Bewegungen gehört der Foxtrott zu den Favoriten des volkstümlichen Tanzes und ist leicht zu lernen. Der Schieber, wie er auch genannt wird, sticht durch seine Einfachheit hervor und begeistert mit geschmeidigen Bewegungen sowie lockeren vor- wärts und rückwärts Schritten, was sich als auch als ein Schieben am Ort bezeichnen ließe, deshalb wohl: Schieber, der bei den Bayern auch als >Schuhplattler< durchgeht« (Auszüge aus offiziellen Beschreibungen für Tanzschulen). Hopla, hopla! Heute schenk ich dir mein Herz für eine Nacht! / Meine Liebe, meine Küsse haben oft schon Glück gebracht, / Hopla, hopla! Du wirst glauben, keiner liebt dich so wie ich! / Aber treu sein, Liebling, treu sein, ist ein Ding für sich! / Heut verschenk ich meinen Mund für die Nacht! / Süße Stunden bis der Morgen erwacht! / Keine Schwüre, keine Treue, nur der kurze Augenblick! / Hopla, hopla! Das ist Leben, eine Nacht voll Glück. (Transkription nach nebenstehender Partitur; Filmlänge: 00:11:52-00:12:23) Die Laufzeit der Musik-Einspielung im Trailer beträgt 18 Sekunden (von 2:20 = 140 Sekunden). Sie hat damit über zehn Prozent Anteil am gesamten offiziellen Werbe-Videoclip – mehr als jeder dort zi- tierte Brecht-Weill-Song. ▐║Fazit: Das »Hoppla, Hoppla!«-Lied erhält im Film mit einer Laufzeit von zwei Stunden und 13 Minuten, ausdrücklich bestätigt durch seinen Trailer, den Charakter nicht nur eines musikalischen, sondern auch eines inhaltlichen Leitmotivs, das durch die markanten Wiederholungen symbolische Bedeutung beansprucht. Das aktuelle Wörterbuch vermeldet unter >Worthäufigkeit<: selten, und gibt als Beispielssätze an: (1) »Hoppla! Das war keine Absicht, Entschuldigung«. (2) »In diesem Sinne fasse ich zu- sammen… — hoppla, jetzt hätte ich fast mein Glas umgestoßen. Wo war ich stehen geblieben?« Über das Lied ergeben sich Zusammenhänge und Verbindungen. Es stammt, wie es das Label aus- weist, aus dem Film »Die Warschauer Zitadelle« von 1937, und wird im Film eingesetzt für eine ge- spielte Zeit, die vom 31. August 1928 (= Premiere der »Dreigroschenoper«) über Mai 1930 (= Abschluss des Vertrags mit Nero), über Oktober/November 1930 (= Gerichtsprozess) bis zum 28. Februar 1933 (= Reichstagsbrand/Flucht) reicht. Musik spricht nachweislich in erster Linie Gefühle (ohne Worte) an und hält zu gemüthaftem Einschwingen ins filmisch Dargestellte an. Wird sie dann noch mit Bedeutung versehen – hier als Leitmotiv eingesetzt –, wirkt Musik besonders einfühlsam und nachhaltig. Das »Hoppla«-Lied bediente im Nazi-Film die Verschleierung von ideologisch-kriegtreiberischen Tendenzen im historischen Gewand durch seine scheinbare (frivol) angehauchte Leichtigkeit, die im musikalischen Rhythmus ihren zusätzli- chen emotionalen Ausdruck fand. Über den Film, dessen Nazi-Ideologie die Goebbels-Zentrale mit dem Prädikat »Politisch wertvoll« ausdrücklich bestätigte, wurde das Lied unabhängig vom Film im Rahmen der >Kraft-durch-Freude<-Mobilisierung des >deutschen Volks< für den – da bereits offen vorbereiteten – Krieg ein erfolgreicher Schlager. Er hatte Lebensfreude zu vermitteln, damit der herrschende Terror nicht so sehr auffiel. Der Film hatte am 6. September 1937 Premiere in Berlin, im Ufa-Palast. Das >künstlerische< Verfahren der heutigen Filmemacher heißt: Anachronismus, in diesem Fall: vorgreifender Anachronismus. Es handelt sich beim »Hoppla«-Lied folglich um eine historische Einordnung im Vorgriff auf eine Zeit, in der bereits ganz andere Zustände herrschten und Brecht längst im Exil (hier noch: Dänemark) war, kurz: um eine historische Fälschung. Da diese Geschichtsklitterung im Presseheft auch noch nachdrücklich als >radikal< und >politisch< qualifiziert wird, muss bei allen Beteiligten des – von der FBW mit dem Prädikat »Besonders wertvoll« ausge- zeichneten – Films entweder rechtsgeistige Verwirrung oder tiefgründige Ahnungslosigkeit geherrscht haben. Doch damit nicht genug. Je weiter ich den Quellen nach- gehe, um so dubioser wer- den die Verbindungen, die der Film selbst herstellt. Der beanspruchte »Blick hinter die Kulissen der historischen Ereignisse damals« (laut FBW-Urkunde) legt Zusammenhänge frei, die sich mit >künstlerischer Freiheit< nur sehr schwer rechtfertigen lassen. Im Gegenteil: In der »Verbindung des literarhistori- schen Stoffes mit aktuellen gesell- schaftlichen Konflikten« (so die FBW- Urkunde) kommt unverdauter politisch- ideologischer Müll zum Vorschein, der heutigen Antisemitismus und Rassismus bedient. Anspruch und Programmatik unter- streicht nochmals – nach den Texten des Vorspanns (Filmlänge: 00:00:58) – der Film-Brecht am Steuer seines Autos: »Wir spielen, was hinter den Vorgängen vorgeht. Eine einfache Wiedergabe der Realität reicht nicht aus.« (Filmlänge: 00:13:48-54). Die Damen (Hauptmann-Lenya-Neher) auf der Rückbank bestätigen im eingeübten Chor von braven Schülerinnen dem Meister seine uneingeschränkte Autorität. »Wir haben verstanden, Herr Brecht«. Brecht nimmt die Litanei zufrieden zur Kenntnis (Filmlänge: 00:13:56), und die Damen sagen ihre ge- lernte Lektion weiter auf: »Eine Fotografie der Kruppwerke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Wir müssen also etwas Künstliches aufbauen. Es ist Kunst nötig.« Die Zitate sind zusammengesetzt aus folgenden Werkteilen Brechts: »Spielen, was hinter den Vorgängen vorgeht«, Titel eins Notats über Schauspielkunst von 1939 = GBA 22,519, und »Die Lage wird dadurch so kompliziert, daß weniger denn je eine einfache >Wiedergabe der Realität< etwas über Realität aussagt. Eine Fotografie der Kruppwerke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht. Die Verdinglichung der menschli- chen Beziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsächlich >etwas aufzubauen<, etwas >Künstliches<, >Gestelltes<. Es ist also ebenso tatsächlich Kunst nötig.« (Aus »Der Dreigroschenprozeß« von 1931 = GBA 21,469.) An dieser Stelle hat M wie Nazi, Alfred Mühr, seinen nächsten zweifelhaften Auftritt. Mühr schrieb 1936 ein Drama mit dem Titel »Der weiße Adler. Schauspiel nach d. poln. Bühnenwerk >Tandem< d. G. Zapolska« (Angabe nach der Deutschen Bibliothek). Das Drama prädestinierte Mühr zum Verfasser eines Auftragsfilms der A.B.C.-Filmgesellschaft, Sitz Berlin, die 1933, also im Jahr der >Machtergreifung< gegründet worden war: »Die Warschauer Zitadelle«. Fritz Peter Buch führte Regie. Buch gehörte zum ausgewiesenen, ideologisch zuverlässigen >künstlerischen Nachwuchs<, den die Goebbels-Zentrale für Propaganda und >Volksaufklärung< benötigte, um die personellen >Verluste< auszugleichen, den sich die Nazis durch Berufsverbote und Vertreibung geleistet hatte. Buch verstand es, im historischen Gewand aktuelle Themen unterhaltsam aufzubereiten und dazu schwungvolle Musik nach der Nazi-Maxime >Kraft-durch-Freude< einzusetzen. Sein Film »Jakko« von 1941, die Geschichte eines haltlosen Zirkusknaben, der in der >Hitler-Jugend< zu Zucht, Ordnung und Heimat findet, steht noch heute auf der Liste der so genannten >Vorbehaltsfilme<, die wegen ihres Rassismus und Antisemitismus zu den >harten< und noch immer unterschwellig gefähr- lichen Fällen der Nazis-Propaganda zählen und deshalb nur unter Aufsicht von Fachleuten mit ent- sprechender Aufklärung vorgeführt werden dürfen. Dieser Film erhielt vom Goebbels-Ministerium die Auszeichnungen: »staatspolitisch wertvoll«, »volkstümlich wertvoll« sowie »jugendwert«. Mit dem letzten Prädikat empfahl er sich als Lehrfilm für Filmveranstaltungen der >Reichsjugendführung<. »Die Warschauer Zitadelle« benutzte Buch, um mit einem historisch verbürgten Freiheitskampf in Polen massiv antisowjetische Propaganda zu be- treiben und dabei >den< Russen als Untermenschen zu denunzieren. Da zum Film (damals) die Liebesgeschichte obligatorisch gehörte, benötigte der polnische Freiheitskämpfer weibli- che Unterstützung, deren soziale Herkunft ein wenig zweifelhaft ist, aber durch den >Helden< am Ende in reiner Liebe geläutert wird. Die Sache muss tragisch ausgehen, damit in den Gemütern des Publikums ein tief sitzender Eindruck verbliebe. Das »Hoppla, Hoppla!«-Lied diente mit seinem ein- gängigen Rhythmus des Hin- und Zurück bzw. des Auf- und Ab als Aufmunterung zur eigenen Tat. 1937 gedreht, setzten die Nazi-Usurpatoren diesen Film unmittelbar nach dem >Anschluss< Österreichs mit Massenkopien ab April 1938 im neuen erweiterten >Großdeutschen Reich< ein, um nicht nur den >befreiten< Österreichern, sondern nun allen, endlich wieder Gesamt-Teutschen zu suggerieren, sie hätten >sich selbst befreit<. Schließlich stammte ihr neuer >Führer< aus Österreich. Um diese Zeit durfte es sogar noch ein Kampf nationalistischer Polen gegen die russische Bolschewisten-Herrschaft sein. Keine zwei Jahre später gehörten sie zu den offen deklarierten >Untermenschen<. Der Film wurde übrigens deshalb, weil er in Polen spielte, kein Erfolg. Der >an- gestammte< Rassismus im >deutschen Menschen< machte es schwer, in den sprichwörtlichen >Polacken< Freiheitskämpfer zu sehen, mit denen man sich identifizieren könnte. Dies spricht aber nicht für den Film und auch nicht dafür, dass er auf der >Vorbehaltsliste< nicht erscheint, und schon gar nicht dafür, ausgerechnet sein Erkennungslied zum Leitmotiv eines neuen Brecht-Films zu erheben. Die Medien Als »Wissenschaftliche Beratung« zeichnen Joachim Lucchesi und Jürgen Schebera (Filmlänge: 02:05:29). Beide sind Musikwissenschaftler, beide sind fachwissenschaftlich hervorragend ausgewie- sen, haben in der DDR ihre Ausbildung erhalten und verstanden es, sich auch nach der Wende im wieder vereinigten Deutschland neu zu etablieren. Lucchesi hat u.a. das Standardwerk »Musik bei Brecht« verfasst, das 1988 in der DDR und in der Bundesrepublik gleichzeitig erschien. Jürgen Schebera zeichnet vor allem als Weill-Spezialist und war einer der maßgeblichen Mitarbeiter an der gesamtdeutschen Großen Brecht-Ausgabe (GBA), die 1985 vertraglich vereinbart wurde und zu den – damals als sensationell eingestuften – recht einsamen deutsch-deutschen Gemeinschaftsprojekten kultureller Art zählte. Schebera gehört zu den Verfechtern der – nach seiner Meinung von Brecht herabgestuften – hohen Weill-Anteile an der »Dreigroschenoper«, die er weiterhin mit 80 Prozent einstuft. Entsprechend ver- tritt er die Ansprüche der »Weill-Foundation«, die, wie die Brecht Erben im Hinblick auf das originale Wort, streng darauf achteten, dass die Originalversionen der Weill’schen Arrangements in allen – von ihr habhaft zu machenden – Inszenierungen erhalten blieben. Das führte immer wieder – wie bei den Brecht-Erben – zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die stets zugunsten der >Nachlass- Verwalter< ausgingen, auch weil die zuständigen Verlage, nämlich Suhrkamp (ehemals Frankfurt a. M.) und die Universal-Edition (Wien) sklavisch zu ihren >Urhebern< standen und damit eine produk- tive Weiterentwicklung der Brecht-Weill-Künste verhinderten. Dies hatte für nicht wenige KünstlerInnen sowohl der Bühne als auch der Musik die Konsequenz, ganz auf neue Aufführungen von Weill-Brecht zu verzichten. Die Folgen für den aktuellen Dreigroschenfilm waren – für die Musik: Die SchauspielerInnen mussten die Gesangspartien übernehmen, – für den Text: Es durften nur Brecht-Texte gesprochen werden. Brecht bestand in seinem Treatment zum Film, »Die Beule«, wie auch in seinen sonstigen theoreti- schen Äußerungen zu den Medien und ihren Einfluss auf die Künste mit Nachdruck darauf, die Möglichkeiten – hier von Bühne und Film – nicht miteinander zu verwischen. Denn, so Brechts Begründungen, singende SchauspielerInnen sowie Texte direkter Ansprache für die Bühne fänden sich von vornherein, versetzt in einen Film, im falschen Medium wieder, und zwar aus ganz objektiven Gründen. Die Ton-Technik des Films treibt alle – bei Schauspielern nun einmal vorhandenen – Mängel des Gesangs unerbittlich heraus. Texte, die bei unmittelbarer Artikulation mit dem ganzen Einsatz der Körper auf und von der Bühne gesprochen werden, rascheln auf der Leinwand unnachsichtlich mit dem Papier, von dem aus sie memoriert wurden. Kritiken, die ansons- ten vor dem falschen Anspruch des Films kapitulierten, bemerken immerhin wiederholt die man- gelnde Tontechnik des Mackie-Messer-Films, wie sie auch den bemühten Gesang und seine Misstöne herausheben. Für den unablässig Brechts geflügelte Worte ableiernden Lars Eidinger fand ein Kritiker das schöne Bild einer >wandelnden Glückskeksdruckerei< (Matthias Heine). Es ist die Mechanik der Apparate, die sich bei einem unterforderten großen Schauspieler unbewusst durch- setzt und seine Fähigkeiten eindeutig >unterflügelt<. Brecht führte für diese ästhetische Grundsatzfrage der Kulturindustrie im 20. Jahrhundert den nicht im DUDEN verzeichneten Begriff »Technifizierung« ein, nicht »Technisierung« (womit er verwech- selt zu werden pflegt). Der Begriff besagt, dass die poetische Sprache sowie das darstellende Theater für das, was die technischen Medien, hier der Film, mit ihren Apparaten an darstellerischen Mitteln und Formen produzieren, eigene sprachliche und theatralische Entsprechungen finden müs- sen, um nicht in verfehlte Nachahmungen oder in >einfache Übertragungen< zu verfallen und damit dem Medium nicht angemessen sind. Umgekehrt heißt dies aber auch, dass der Film von vorherein die verkürzenden, einseitigen und mechanisierten Abläufe der >Formate< der Filmgerätschaften, auch wenn diese inzwischen digital verfahren, berücksichtigen und beim Spiel der SchauspielerInnen sowie bei der Umsetzung der Musik in dessen Technik einbauen müssen. >Live< im Kunst-Film zu suggerieren ist ein Lehrlingsfehler. Der entlarvt sich hier in den unsäglichen, ironisch gemeinten Tanzszenen, beim Hochzeitsmahl, das mit fressenden Ganoven und ihren ver- fehlten Tischsitten nicht mehr zum Ambiente passt, und vor allem im geradezu peinlichen Auftritt des weiblichen Bankvorstands: Die als Püppchen aufgetakelte, stockfuchtelnde Dame muss Haltung auf- setzen zu Worten, die aus dem falschen Stück, also der Oper, stammen und so überzeugend dane- ben klingen, wie die ständig durch den Film wiegenden Hintern, keinen noch so geilen Hund hinterm Ofen vorlocken können (vgl. Filmlänge: 01:43:01ff.). Die   uns   so   abraten,   diese   neuen   Apparate   zu   benützen,   bestätigen   diesen   Apparaten   das Recht,   schlecht   zu   arbeiten,   und   vergessen   sich   selber   vor   lauter   Objektivität:   denn   sie   geben sich   damit   zufrieden,   dass   nur   Dreck   für   sie   produziert   wird.   Uns   aber   nehmen   sie   von   vorn - herein   die   Apparate   weg,   deren   wir   zu   unserer   Produktion   bedürfen,   denn   immer   weiter   doch wird   diese   Art   des   Produzierens   die   bisherige   ablösen,   durch   immer   dichtere   Medien   werden wir   zu   sprechen,   mit   immer   unzureichenderen   Mitteln   werden   wir   das   zu   Sagende   auszudrü - cken   gezwungen   sein.   Die   alten   Formen   der   Übermittlung   nämlich   bleiben   durch   neu   auftau - chende     nicht     unverändert     du     nicht     neben     ihnen     bestehen.     Der     Filmesehende     liest Erzählungen   anders.   Aber   auch   der   Erzählungen   schreibt,   ist   seinerseits   ein   Filmesehender. Die   Technifizierung   der   literarischen   Produktion   ist   nicht   mehr   rückgängig   zu   machen.   Die Verwendung   von   Instrumenten   bringt   auch   den   Romanschreiber,   der   sie   selbst   nicht   verwen - det,   dazu,   das,   was   die   Instrumente   können,   ebenfalls   können   zu   wollen,   das   ,   was   sie   zeigen (oder   zeigen   könnten),   zu   jener   Realität   zu   rechnen,   die   seinen   Stoff   ausmacht,   vor   allem   aber seiner   eigenen   Haltung   beim   Schreiben   den   Charakter   des   Instrumentebenützens   zu   verlei - hen. (GBA 21,464) Der Dreigroschenfilm von 2018 ist bereits im Ansatz künstlerisch verfehlt und fördert wirres ideologi- sches Denken. Ihn für den staatlichen Bildungsauftrag zu empfehlen und öffentlich sowie an Schulen einzusetzen, verhöhnt unsere Demokratie.
Caspar Neher »Die Bekehrung des Saulus«; um 1920; Erstdruck
Es ist ganz besonders zu begrüßen, daß sich Alfred Mühr dieser großen Aufgabe unterzogen hat, die Geschichte des Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt zu schreiben. Durch seine Wirksamkeit als Schauspieldirektor und stellvertreten - der Generalintendant dieses Theaters im letzten Jahrzehnt des Hauses und als bester Kenner der his - torischen Unterlagen war er geradezu dafür prädesti - niert. Dieses so unterhaltsam geschriebene Werk führt den Leser durch die zwei Jahrhunderte eines der bedeutendsten deutschen Theater, das am schönsten Platz des alten Berlin gelegen war. Beginnend mit dem zwischen dem Französischen und Deutschen Dom auf dem Gendarmen-markt ge - legenen Pferdestall unter Friedrich Wilhelm I., als der Athlet Eckenberg als „Hofschauspieler" mit seiner, mehr Artisten als Komödianten zählenden Truppe auftrat, wird die Gründung des Theaters durch Friedrich den Großen eingehend geschildert. Der große künstlerische Aufstieg dieser Bühne setzte ein, als August Wilhelm Iffland aus Mannheim von Friedrich Wilhelm II. als Direktor an die Spitze des Theaters im Jahre 1796 berufen wurde. Alle großen Künstlernamen erscheinen hier wie Fleck, Franz Brockemann, verschiedene Primadonnen, Ludwig Devrient, der Freund von E. T. A. Hoffmann, Seydelmann, Spontini und Carl Maria v. Weber. Mit seinem „Freischütz" fand die feierliche Einweihung des Schinkelbaues, dieses ar - chitektonisch schönsten Berliner Theaters, 1821 statt. Auf die Zeit des „Königlichen Schauspielhauses" mit seinem mehr traditionsgebundenen Repertoire folgte in der Weimarer Zeit die Ära Leopold Jessner und schließlich die Ära Gustaf Gründgens. Alle bedeutenden Schauspieler treten auf, ob Adalbert Matkowsky oder Friedrich Kayssler, Werner Krauss oder Paul Hartmann, Heinrich George, Lothar Müthel und Viktor de Kowa, Hermine Körner und Maria Koppenhöfer sowie Tilla Durieux, um nur einige zu nennen. Besonders ausführlich wird die letzte Periode behandelt mit dem großen Regisseur Jürgen Fehling und vor allem Gustaf Gründgens, der den Verfasser in seine Position berufen hatte und mit dem er das letzte Jahrzehnt bis zum Zusammenbruch gearbeitet hatte. In sichtlicher Verehrung geleitet Mühr dessen Lebensweg bis zu seinem plötzlichen Ende in Manila. Wenn auch für den Verfasser freilich somit ein Hauptakzent seiner eingehenden Darstellung auf der von ihm selbst miterlebten letzten Epoche liegt, so gibt das Ganze doch einen allumfassenden Überblick über die Geschichte dieses, neben dem Opernhause, prominentesten Berliner Theaters. Ein großer verdienstvoller Wurf, für den man Alfred Mühr nur dankbar sein kann und der seine Bedeutung in der Theatergeschichte Berlins behalten wird.
»Die deutsche Dichtung wird vom Intendanten des preußi - schen Staatstheaters [= Leopold Jeßner] unnachsichtlich verwüstet. Zur Besänftigung der Gemüter soll eine Neueinstudierung von Hauptmanns Bauernkriegs-Tragödie >Florian Geyer< dienen. Das Drama ist deutsch im Motiv, deutsch in seiner Gestalt, deutsch in der Melodie , mag man auch diese und jene empfindlichen Mängel bemerken. Als Hauptdarsteller wurde Walter Franck, eine ausgesprochen jüdische Erscheinung ver - pflichtet. In Berliner Theaterkreisen nennt man Franck den Judenspieler. Das sagt nichts gegen seine Begabung, um - grenzt aber entscheidend die Rollenauswahl. Unmöglich ist es, daß eine Jude eine so markante Heldengestalt wie Florian Geyer dem Wesen nach erfaßt und gestal - tet. Wir versuchen auch nicht, den Spielplan des Herrnfeld-Theaters [bekanntes >jüdisches< Theater in Berlin] nachzuahmen! Nicht nur Grenzen der Begabung, sondern auch die Grenzen des Blutes, des Wesens müssen beachtet, geachtet werden. Walter Franck ist ein eigenartiger Schauspieler. Mit Fritz Kortner verbindet ihn die Gleichheit des Charakters und die Ähnlichkeit im seltsamen Gesichtsschnitt. […] Bei dem Schauspieler liegt die Schuld, den Rollenauftrag angenommen, bei Leopold Jeßner die Taktlosigkeit, Walter Franck als Florian Geyer ausersehen zu haben. Wir erlebten schon einmal eine derartige Stilverwüstung. Es war in Hebbels >Nibelungen< [Staatliches Schauspielhaus Berlin, 8. April 1924, Regie: Jürgen Fehling]. Fehling bekam als Brünhilde eine jüdische Darstellerin zu Verfügung [Ida Maria Sachs]. Sie zerstörte den Gesamtcharakter der Vorstellung und wurde von der Berliner Presse einmütig abgelehnt. [Fehling behauptete mit dieser Inszenierung das Theater gegen die zunehmende, auf das Theater rückwirkende Suggestion des Films. Der zweite Teil des Film >Die Nibelungen< wurde damals als ein >deutsches Ereignis< im Berliner Ufa-Palast am Zoo uraufgeführt.] Nun erleben wir wieder einen solchen Fall. Er fordert zur Abwehr heraus, zum Widerstand. Herr Jeßner [Leopold Jeßner, der Intendant] erlaubt sich alles. Es steht in seiner Macht und wir, wir brechen nicht diese Macht, halten sie schon acht Jahre aus! Aber wir werden sie stürzen! Die Mobilmachung unserer Kreise hat begonnen. An jeden ein - zelnen richtet sich unser Appell. Jeder einzelne hat die Pflicht, sich bereit zu halten für die Bürgerwehr der deutschen Kultur.
HOPPLA!
Nur ein Versehen??
„M“
Walter Franckals Macbeth im Berliner Hebbel-Theater 1945
Antisemitismus in Deutschland: Dialog statt Ignoranz Hier Presseerklärung vom 12.10.2021  runterladen!
BRECHTLEBTAKTUELL 27. Mai 2021
Alle Beiträge auf einen Blick!
AKTUELL Mit „Schalömchen“ gegen Antisemitismus