JK: Dummy? Hier gibt’s doch keine Dummies. Wir sind in keinem Crashkurs.
BB: : Hi, ich verstehe nicht ganz, wieso mir Euer PC-Spezialist und Medienkritiker
als Dummy den Occupy-Beweger unterjubelt.
META
„Schreiben Sie, dass ich unbequem war und
es auch nach meinem Tode zu bleiben
gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse
Möglichkeiten.“ (Bertolt Brecht 1956)
VERSUM
Alle Beiträge auf einen Blick!
„Ihr Mann ist tot
und lässt Sie grüßen.“ (Goethe)
Nachrichten aus Berties Metaverse (2.Teil)
BB: : Ich dachte der Brechtologe wüsste Bescheid. Erinnerst Du Dich nicht – ich
darf Dich doch duzen? Oder steckst Du in den neuen Talaren, die ihre Titel so
lange aufsagen lassen, bis niemand mehr ihren Namen kennt? Also erinnerst Du
Dich: Mein Unfall bei Hünfeld, im Mai 1929, stand in allen Zeitungen, mit dem
Steyr. Ich habe die Karre einfach mal an einen Baum vor einer Böschung gesetzt.
Die Vorderfront hat sich mit den Rädern um den Stamm gewickelt und so verhin-
dert, dass ich kopfüber in den Abgrund stürzte. Dann machten wir die Aufnahme.
Foto ist Foto. Damals dachten die Leute noch, Fotos geben Wirklichkeit wieder.
Alle hätten sehen können, dass ein Auto am Baum unmöglich so schön ausse-
hen kann. Aber die humorlose BB-Gemeinde forderte einen Alltagshelden und
machte aus mir einen Fahrkünstler. Dabei war ich nur zu schnell gefahren,
musste bremsen, und dann krachte es auch schon – von hinten, nicht vorne! Ein
Lastwagen! Glücklicherweise war es kein Trumm, sonst wäre ich Matsch gewe-
sen, und ihr könntet euch euer Metavers jetzt in den …
JK: Stecken wir nicht, Bertie; nimm Dich zusammen. Mit Schrott konnte Steyr keine
Reklame machen und Du schon gar nicht.
BB: Für die Reklame hatte ich mir nur ein paar kleine Schrammen an den Knien
zugezogen. Meine Familie übernahm die Version, obwohl in den Zeitungen …
Chronica: Habe ich. Hier. International. In Wien sogar auf der Titelseite: »verletzte
sich nicht unerheblich«, das heißt also: »erheblich«. Potenziell tödlich.
BB: Vor Ort war gar nichts mehr zu machen. Ich musste nach Berlin. Gesicht links
tief aufgeschnitten; beide Beine demoliert; Knie links
gebrochen; Nacken steif. Den Baum suchten wir spä-
ter in Hinterberg/Hammer aus. Das liegt bei Steyr,
Stammsitz der Waffenfabrik, die dann auch Autos
baute. Den Steyr, neuestes Modell, haben wir sorgfäl-
tig um den Stamm drapiert: Scheinwerfer verdrehen
und quer stellen, das meiste hinterm Baum verste-
cken. Der Trick war, den Baum zwischen die Front zu klemmen, die damit abge-
deckt wurde. Das ging, weil die Kiste keine Stoßstange hatte, nur nach vorn
stehende Vorderradaufhänger. Und dazwischen passte der Baum, das heißt eben
der, den wir ausgesucht hatten. Fertig.
Chronica: Was heißt wir? Das haben doch die Leute von Steyr gemacht. Steyr
musste den Reklamekongress in Berlin nutzen. Der war im August 1929. Auf dem
deutschen Markt sah es schlecht für Steyr aus. Dabei hatten sie einen neuen
Rennwagen, den Steyr XII, und ein preiswertes Cabriolet, den 6/30 im Programm.
Im August ahnte noch niemand, dass sich schon zwei Monate später die gesamten
Luftgeschäfte der Konsumfinanzierung in üble Stinkbomben verwandeln würden.
Berlin tat noch so, als würde es nun endlich den Anschluss an die Welt finden, und
erklärte kurzer Hand die Reklame zur Weltmacht. Typisch deutsch. Steyr musste
unbedingt was für den deutschen Markt tun, zumal sie auch ihre Waffen loshaben
wollten. Opel war schon weit oben, von Mercedes zu schweigen, und in Eisenach
wurde der Dixi gebaut. Der war ein Plagiat der Tin Lizzie von Ford und kostete
>nur< 3100 Mark.
JK: DIXI heißen heute die mobilen Häuser zum Scheißen auf der Straße oder im
Park. 2015 in Karlsruhe haben sie zur 300-Jahr-Feier ihrer City of Media Arts mit
lauter DIXIs das ehrwürdige Hebel-Denkmal im Schlossgarten umstellt. So macht
ein Name Karriere. Wenn sie angeben können und Geschäfte zu machen sind,
scheißen sie auf ihre Heimat-Dichter und vergessen ihre Wurzeln im badischen
Mutterboden.
BB: Herr Brechtologe, ich verbitte mir, dass Sie mich dauernd unterbrechen, ich
bin doch noch kein Bruch, will sagen: Steinbruch für Ihre Schriften, die alles bes-
ser wissen als ich. Zurück: Es gab dann noch den Wanderer, kein Witz, das Mobil
für die Deutschen, die das Auto immer noch als Teufelswerk ansahen und mein-
ten, auch mit dem Auto wandern zu können. Oder den Elite, das »deutsche
Edelfabrikat« aus Brand-Erbisdorf, wo immer das liegt. Die Grundausstattung als
Limousine hieß damals schon »Phaeton« und kostete 3000 Mark weniger als das
Cabrio, das schon für 14.500 zu haben war.
Chronica: Ein Arbeiter verdiente rund 2000 Reichsmark, so hieß die Währung offiz-
iell, im Jahr wohlgemerkt. Ein Auto für Arbeiter? Davon waren die Deutschen noch
weit entfernt. Deshalb glaubten sie auch immer noch an den Marx und seinen
Real-Revoluzzer Lenin und hatten keine Ahnung von Ford.
Homer: (der mal wieder nicht zugehört hatte): Phaeton, Phaeton? Wenn die
Banausen und Namengeber doch meinen jüngeren Kollegen Ovid gelesen hätten,
dann könnten sie wissen, dass sie ein Auto unmöglich nach dem Sohn des
Sonnengottes nennen dürfen. Da steckt das Unheil schon in der Wurzel, sprich:
in der freudigen Empfängnis. Phaeton heißt zwar der »Strahlende« zu Deutsch,
aber ansonsten gehört er mehr zu den Feuerköpfen. Seine Mutter Klymene wollte
ein bisschen angeben und steckte dem Sohnemann, dass sie sich mal mit dem
Sonnengott unverbindlich vergnügt hätte, und vergaß nicht anzumerken, dass bei
solchen Gelegenheiten auch noch die Eos, die Rosenfingerige, seine Schwester,
herausgekommen sei. Mit diesem Wissen ausgestattet, suchte Phaeton seinen
Erzeuger auf, gab sich zu erkennen und machte dem Alles-Überstrahler klar, dass
er das Ding, also das Mobile, das die Sonne fährt, als Sohn natürlich auch fahren
könnte. Schließlich fiele der Apfel nicht weit vom Pflaumenbaum. Der Alte ahnte
zwar Furchtbares, fand aber gegen den Starrsinn seines Strahlepöters kein Mittel
und überließ ihm die Kiste für EINE Fahrt. Und wir wissen, die reichte. Das
Sonnenmobil hatte noch keinen Motor, dafür aber vier prächtige Pferdestärken in
analoger Form. Phaethon bestieg, als die Nacht zu Ende ging, den kostbaren und
reich verzierten Sonnenwagen seines Vaters und donnerte los. Phaeton gab Gas,
viel Gas, zu viel Gas, die Kiste raste los. Der Sonnenwagen weckte zwar noch
Schwesterchen Eos, schoss dann aber aus der Bahn und schlug auf den
Schrottnebenbahnen des Universums Funken. Dort kreisten lauter Reste der aus-
gebrannten Erucas und Satelles, 15.000 legal, 7000 geheim. Die Reibung war gi-
gantisch und löste riesige Protuberanzen, sprich: Sonnenstürme, aus. Ja, und die
verbrannten die halbe Erde. Phaeton stürzte ab und landete tot im Wasser des
Flusses Eridanos, und der liegt am Ende der Welt, genauer: am Ende des Alls, di-
rekt vor den schwarzen Löchern.
JK: Was lernen wir daraus? Nenne nie ein Auto »Phaeton«. Das geht übel aus.
BB: Ich war dran, ihr Lieben. Ich war noch beim Bau des Baums für den Unfall.
Und ihr düst ab ins All. Der Baum musste also zum Auto passen, und ich war ja
gar nicht dabei. Wozu gibt es Darsteller? Joppe, Mütze, schon war ich fertig.
Steyr erledigte das einfach vor Ort in Hammer, Oberösterreich, und bewies so,
dass man auch ohne Digitalisierung wunderbar simulieren kann. Jedes Foto sein
eigenes >Reich<, so hieß es damals. Schreibt man unter die Fotos: ganz echt, vor
Ort, authentisch, und schon gucken die Leute gar nicht mehr hin. Sie glotzen und
sehen nicht. So jedenfalls haben wir den Unfall dann im UHU erfolgreich verzinkt.
JK: Du meinst gezinkt und damit vergoldet, im November-Heft 1929 mitten in der
Wirtschaftskrise.
Chronica: Der Fake kam zu spät. Im August inszeniert,
September montiert, und im Oktober 1929 platzt der
Börsenkrach dazwischen. Vorbei war es mit der
Weltmacht Reklame, das heißt, sie fing da erst richtig
an. Reklame war damals mit »Propaganda« aus-
tauschbar. Aus diesem Grunde merkte niemand so
recht, dass die Propaganda der Nazis die
Werbestrategien der Weltmacht übernahm: Trommeln,
Ein-Trommeln, Einschlagen, kurz, knackig mit schmis-
sigen Stimmen, die den Leuten die Trommelfelle um die
Ohren schlugen, und Wiederholen und nochmals Wiederholen.
Homer: Wäre ich ein heutiger Dichter, hielte ich es mit Walter Hasenclever. Im
Auto-Magazin, Heft 2, 1928, schreibt er: »Autofahren ist genau so ein Talent wie
beispielsweise Dichten. Ich spreche nicht von den technischen Kenntnissen, die
erlernbar sind wie Lesen und Schreiben, obwohl ich gestehen muß, daß mir die
innerste Struktur des Motors bis heute ein Geheimnis geblieben ist. Ich mache
aus der Not eine Tugend. Abergläubisch wie jeder Schriftsteller, der an Zeichen
und Vorbedeutungen glaubt, befürchte ich, eine zu genaue Kenntnis von Hebeln
und Schrauben könnte einen Rückschlag zur Folge haben.«
Chronica: Der Auto-Boom nahm jedenfalls Fahrt auf, und Deutschland war hinter-
her. Ein prominenter Dichter wie der BRECHT machte sich nicht schlecht als Auto-
Sänger. Dichter sind ohnehin schon hinterher, und dann erst die deutschen
Dichter. »Ein Motor ist für mich ebenso geheimnisvoll wie die ganze Welt.« Das
war doch mal der bessere Herr… der Hasenclever, so hieß sein Erfolgsstück! Na
ja. In der Funkhalle Berlin fand auf dem städtischen Ausstellungsgelände vom 11.
bis 15. August 1929 die größte internationale Tagung statt, die es bis dahin in
Deutschland gab. Angeblich kamen rund 5000 Werbefachleute, Diplomaten, heute:
Lobbyisten, Politiker und Unternehmer aus dem Ausland, davon über 3000 aus
den USA. Also am Ende waren’s wohl 1500 und immer noch zu viele. Das Motto
lautete: »Reklame, der Schlüssel zum Wohlstand der Welt«. Es heißt: die Welt sei
damals noch jung gewesen. Erst mit der Reklame kam sie endlich auf die Beine
und lernte laufen – dann allerdings lief sie mit dem Auto, das sich wenig später
ins Volks-Auto auf Pump (VW) verwandelte und dann – mit dem Geld der kleinen
Leute – in Tanks mutierte.
BB: Elisabeth hat geholfen, Peter Suhrkamp für den Text gesorgt, Steyr alles fi-
nanziert und gemanagt. Wir, das heißt die Leute von Steyr, mussten nur noch das
Logo aufpeppen. Und ich schrieb die Verse über die singenden Wägen von Steyr.
JK: Verse? Wir sind doch längst beim Verse, sprich: Wörs! Versteht ihr?
Wöööörs! Da heißt es: eintauchen! »Immersion« ist das neue Zauberwort. Seine
Verlaufskurve geht analog zu »analog« steil nach oben. Die offizielle Übersetzung
lautet: »Eintauchen, Untertauchen, Versenken«. Ich überlege wie das Verb zu bil-
den wäre, ob »immersieren« oder »immergieren«. Kommt vom Lateinischen »im-
mergere«, von einer Verbform. Also: immergieren, klar?
Chronica: Ich übersetze lieber mit »anpassen«, sich der Technik so anpassen,
dass man sich einbildet, man wäre ein technisch evolutionierter Mensch. Klingt
akademisch? Ganz einfach. Transformation: Herz wird Motor, die Räder werden zu
Füßen, das Lenkrad zum Arm und so weiter. Oder umgekehrt. Dann heißt es
Exoevolution.
Im Augenblick des Fahrens gleite ich in einen neuen Zustand hinein, verliere
meine Gehwerkzeuge, transformiere Arme und Beine in Instrumente eines
Apparates, dem mein Körper sich automatisch anpaßt. Mein Herz schlägt nicht
mehr: der Motor schlägt in mir. Öl und Benzin, der Stoff der neuen Materie, fließt
statt Blut in meinen Adern. Mangelndes Wasser im Kühler verursacht mir
Herzbeklemmung. Ich spüre die Veränderung jedes Tones der Maschine im Ohr.
Unwillkürlich regulieren meine Organe die Hebel, ich verrichte alle diese
Funktionen genau so unbewußt, wie mein Körper verdaut und atmet. Diese
Metamorphose des Körpers in die Maschine scheint mir das Geheimnis des
Autofahrens zu sein. Mein Organismus erlebt eine neue Dimension: die
Dimension der Geschwindigkeit, in der Zeit und Raum einer veränderten
Bestimmung unterliegen. Eine Art Raumzeitgefühl, in dem Zeit und Raum als
Einheit empfunden werden, offenbart sich mit zunehmender Geschwindigkeit.
Bei siebzig Kilometer wird jeder Autofahrer am eigenen Leibe die Richtigkeit der
modernen Relativitätslehre spüre. (Hasenclever 1928; s.o.)
JK: Hand wird Hammer. Oder umgekehrt. Als Experte bin ich für Vieldeutigkeit.
Metamorphose der Technik in den lebendigen Körper hinein: Intro-Evolution. Oder
des Körpers in die Technik hinein: Exo-Evolution? Wie war das, lieber Bertie, bei
Deinen 70 km/h am Baum? Erweiterung der Sinnesorgane?
BB: Abtauchen oder versenken oder anpassen? Oder aussteigen? Fuß wird Rad?
Widerspiegel: Ich bin auch noch da. Dann versenken wir doch mal den Bertie in
seinem Bertieverse. Ohne >e< und ohne >f<, weich wie Wein. Ist die englische
Form von Versum, steckt in Universum. »Das, wo überall ist«. Die badischen
Heimatpfleger vom Rhein bremsen so die Relativpronome aus: >wo< passt immer,
wie die Nilpferde in den Rhein. Neuerdings liegt THE LÄND in ENG-LÄND mit
Gläääsgooo als Haubbtschtadd, und das liegt an der Vergreisung der LÄNDler. Und
nun wissen es alle: »Wir können nichts außer … nichts.« Das ist badische
Relativitätstheorie.
BB: Eure Worthubereien könnt Ihr Euch in den … Wie sagte einmal ein Satiriker
zu dem Strauß? Nein, nicht zu dem Vogel, nein, zu dem, wo dem nach ein
Flughafen heißt, also zu diesem Strauß sagte er: Der presse die Worte von so
weit unten aus seinem verschwitzten Bierbauch, dass er doch gleich den kürze-
ren Weg wählen sollte. Man verstünde ihn dann auch besser.
JK: >Versum< kommt von wenden, drehen, umkehren, (hin-)lenken, verändern,
wechseln, tauschen. Das können wir, all, überALL. How, der Lehrer hat
gesprochen.
Freunde aus New York erzählten mir, mit dem Besitz
eines Autos sei für den amerikanischen Arbeiter das
Problem des Kommunismus erledigt: er hat sich mit der
Maschine versöhnt. Ford ist stärker als Lenin.
(Walter Hasenclever, 1928)
JK: Ich weiß nicht. Beim Thema sind wir jedenfalls nicht.
Widerspiegel: Das Thema ist dazu da, von ihm abzukommen.
Galilei: »Ihr denkt in Kreisen oder Ellipsen und in gleichmäßigen Schnelligkeiten,
die euren Gehirnen gemäß sind. Wie, wenn es Gott gefallen hätte, seine Gestirne
so laufen zu lassen?« Er zeichnet mit dem Finger in der Luft eine äußerst verwi-
ckelte Bahn mit unregelmäßiger Geschwindigkeit. […] »dann hätte er auch unsere
Gehirne so konstruiert er wiederholt dieselbe Bahn, so daß sie eben diese Bahnen
als die einfachsten erkennen würden.« (GBA 5,237)
BB: Steyr hat nicht einmal mit meinem tollen Gedicht geworben. Die wollten, so
hörte ich später, Propaganda für einen Rennwagen und nicht für eine Badewanne.
»Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. / Unser Motor ist: / Ein denkendes
Erz.« Das kam nicht an. Mit dem Steyr sollte man nicht kleben, sondern abheben,
und der Motor denkt nicht, er bröselt drauf los.
JK: Typisch für den Klassiker der Vernunft. Dabei bist Du gefahren wie ein Henker,
ohne Verstand und Rücksicht, und angegeben hast Du auch mit Deiner Flat Cap
Be Good Man, die von weitem wie eine Arbeitermütze aussah. Sie sollte Dich den
Elite-Fahrern gleichstellen, weil Du kleiner Wicht sonst übersehen wirst: >Ich bin
mit meinen Steyr auf dem Weg zum Golfspielen, wie Ihr! Kann ich auch.<
BB: Wir haben ihn, den Unfall, mit einem größeren Modell, wo bes-
ser zu mir passte, erfolgreich verzinkt und vergoldet natürlich auch.
Die Narbe hat sogar meinen Tod überlebt. Hier, siehst Du, war ganz
schön tief. Wenn Du mir in Mund schauen willst, der so schöne
Verse ausspucken kann, kann ich Dir auch zeigen, dass die Kante
meiner Steyr-Kiste die Backe durchgeschlagen hat, hier, willst Du…
JK: Vielen Dank, mir reicht’s wenn ich Ihnen aufs Maul schauen und
ihre Verse deuten muss. Dazu muss ich mir nicht auch noch Ihre
verfaulten Zähne anschauen. Sie stinken schon so entsetzlich gegen
den Wind.
BB: Ich habe geblutet wie ein Schwein.
JK: Technisch oder lebedig? Wo waren wir? Ach ja, Du bist hier nicht als Dummy,
sondern als Avatar eingesetzt. Das meint eine künstliche Person oder einen grafi-
schen Stellvertreter. Er ist ein BIG-DATA-Produkt, nach dem Motto, wie wir das
schon hatten: In Sprache steckt die Sache und die Rache. Ich bitte die
Lautverschiebung des >a< zu beachten, zweimal kurz, einmal lang. Ich nehme mit
der Sprache Rache an der Sache: lang, kurz, kurz. Und was steckt in Dir, Bertie ja
was?
BB: Ich bin weder Avatar noch Comic. Ich bin real.
JK: Nein, tot. Und das nicht einmal analog, sondern ziemlich real real.
BB: Nein, ich bin eine gewisse Möglichkeit. Schon vergessen?
Chronica: Ohne mich wärst Du gar nichts. Ich nehme mit der Sache die Rache an
der Sprache. Wir sind in Berties Metaverse. Dafür gilt, hier seht, ich habe die Sache
in Form eines fotorealistischen Beweises mitgebracht. Occupy in Hannover, ganz
aus der realen Realität. Du
brauchst nur laut und
deutlich Deinen Namen
auszusprechen, schon
herrscht Aufruhr. Schau,
was steht da: »Brecht«,
schwarz auf weiß! Realer
Ort in der realen Realität:
Hannover, Georgstraße
27-29, vor dem Schuhhaus
GISY. Der Fotograf der
Hannoverschen Allgemeine
hat darauf geachtet, dass
der Name des Hauses genau ins Bild passt, und sich dabei der BIG-DATA-Methode
bedient: SY – Zwischenraum zum Durchschaun – GI. So macht man Kunst und ein
wenig Schleichwerbung zugleich. Die Sprache demonstriert, wie sie die Realität bil-
det zu 99 Prozent. Der Fotograf hat sich am Abend beim Schuhhändler seine
Provision abgeholt, 1 Prozent.
Du siehst, lieber Bertie, man braucht hinter Deinem Namen nur ein Ausrufezeichen
anzubringen und schon bist Du ein kleiner Revoluzzer,
Du Möchte-Gern-Kommunist.
BRECHT!
Öfter die Schuhe als die Länder wechseln, Herr B.!
Kauf bei GISY! Dann geht es leichter.
Homer: Das ist ja zum Brechen! Entschuldigung, wenn ich mich einmische. Ich als
Sänger erhabener Verse kann auf diesen Sprachenstrich
– so sagt ihr doch? – dieses Herrn B. nur mit abgrundtie-
fer Übelkeit antworten. Die Sprache ist doch keine Nutte,
sorry ich meine: keine πόρνη! Wir wollen doch seriös
sein. Wo bliebe sonst unsere klassische Bildung?
JK: Es sind, verehrter alter Meister, es sind, so ist das
nun einmal in der Neuzeit, es sind >erhabene
Banalitäten<. Banalitäten, aber erhaben! Und denk bitte
daran, was der alte Zeus sich so an Sauereien…, na las-
sen wir das. Gehen wir also von der Sprache aus. Die
Banalität erhielt ein edles Attribut und ist dadurch mehr
als nur eine Banalität, also ein Zugewinn! Und sorry,
Porni verstünde bei uns keine Sau oder nur die Säue, die gleich an einen Plural
von Porno dächten und…
Chronica: Ich bin noch nicht zu Ende. Ich bin noch bei BIG DATA. Schließlich
wenden wir das Prinzip »Sprache formt Realität« an, das heißt: Brecht formt mit
Recht den Brecht. Dann giltet auch – das ist gut badisch –, brecht das Recht oder
auch Brecht ist oder hat Recht. Was hat denn das mit Porn zu tun, Plural her oder
hin.
BB: Im Hause hieß es, wenn ich zuviel Schnaps gesoffen hatte und über den Tisch
des Hauses kotzte: Eugen, sprich: Aigihn, bricht! Vornehm bricht die Welt …
zugrunde.
Chronica: Ähhh, was hatten das mit der Sache zu tun?
Chronica: Ähhh, was hatten das mit der Sache zu tun?
JK: Ganz einfach, Brecht ist eine Aufforderung zum Kotzen. Capito?
Widerspiegel: Wo bleibt unser Meta-Verse? Ihr Banausen! Die Abbildung in der
letzten Ausgabe war unten ein wenig beschnitten. Ich habe sie nochmals in der
Rotversion mitgebracht. Das Paar im Boot gehört unbedingt dazu, wo blieben
sonst die Romantik und die Liebe? Denn es steht geschrieben: »zwei restlos
Verliebte gehen in unbeschwerter und alles vergessender Liebe durch die Nacht«
und landen im Boot; im Ruderboot, genauer gesagt. Also: Die Liebesleute fahren
Boot:
Polly und Mac in Soho. Ein bis zwei Monde genügen. Am Ruder: sie. Bertie schaut als
Säulenheiliger zu. Rechts tanzen die Barbaras mit den Begattern den neusten Shimmy Shake
mit Steißbegleitung. »Es wird wirkungsvoll sein, während des ganzen ersten Teiles, der eine
unbeschwerte, von irdischen Interessen gleichsam freie Liebe schildert, gegen Herrn
Macheath, der hier so bedenkenlos, so instinktiv geehelicht wird, durch allerlei kleine unwirkli-
che Einfälle einen Verdacht zu wecken.« (Anm. 4: Die Beule, 1930). ►Darunter brodelt der
Vulkan der Golden Twenties, der jetzt durch META-Verse virtuell ersetzt wird, auf der analogen
Basis von Neodym und Disprosium, Ruthenium und Platin, Grafit, Kobalt, Lithium Kupfer,
Zinn, Aluminium u.a.◄◄▌║▐ (Fortsetzung folgt: Das lesende Menschenzimmer.)
BERTIESMETAVERSUM 1.Teil