»Es ist ein Film, der eine Form wählt, die der Theatermann Brecht – ähm – für seine
Stücke erfunden hat, die epische Erzählkunst und – äh – , indem der Film tatsächlich –
äh – diese Form so genial auf den Film transferieren kann, ist – äh – hier eine – äh –
eine Hommage an Brecht gelungen, die – äh – die Jury überzeugt hat, dass sie dann das
Prädikat >Besonders wertvoll< verliehen hat.«
(7)
Die erste Antwort kommt so spät, dass die Sendung am 27.2. außer Reichweite ist: i.A. Mohr.
Das Büro antwortet, nicht die Angesprochene. Schon dies sagt genug (Bürokratie; keine per-
sönliche Verantwortung; Anonymisierung durch Einschaltung der Instanzen).
Von: Gregory Mohr <mohr@fbw-filmbewertung.com>
Gesendet: Freitag, 26. Februar 2021 12:09
An: Knopf, Jan (GEISTSOZ); Bettina Buchler
Cc: Rosetta Braun; Kathrin Zeitz; Mathias Mayer; Ursula Gontermann; volker.schmidt@hmwk.de;
'Ulrike.Kiesche@hmwk.hessen.de'
Betreff: AW: Betr.: Mackie Messer - erneute Ausstrahlung über 3sat - Einspruch gegen Bewertung
wegen Nazi-Zitaten, übler Nachrede, entstellenden Zitaten, antisemitischer Tendenzen
Sehr geehrter Herr Prof. Knopf,
vielen Dank für Ihre ausführliche E-Mail und Ihre sorgfältige Recherche.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) beurteilt Filme nach ihrer Qualität. Diese
Bewertung wird von unabhängigen Expertenjurys satzungsgemäß im Rahmen ihres Genres und im
Rahmen ihrer Zielgruppenansprache vorgenommen. Entscheidend für den Verwaltungsakt der
Beurteilung ist hierbei die filmische und künstlerische Qualität, also das filmische Handwerk. Die
Bewertungskriterien, die in der Verfahrensordnung der FBW verankert sind, richten sich dabei nach
den Kriterien der Filmanalyse und nach der Verhältnismäßigkeit von Form und Inhalt.
Unsere ehrenamtlichen Gutachter*innen sind allesamt Filmexpert*innen, die MACKIE MESSER –
BRECHTS DREIGROSCHENFILM auf Grundlage unserer Kriterien in der Kategorie Spielfilm bewer-
tet haben. Unabhängigkeit ist das erste Prinzip der FBW.
Mit Sicherheit könnte man jeden Film, der auf einem konkreten Ereignis basiert, der Verfälschung
historischer Fakten überführen. Nun ist MACKIE MESSER – BRECHTS DREIGROSCHENFILM kein
Dokumentarfilm, sondern ein fiktionales Werk, das lose auf einem historischen Geschehen basiert.
Was er nicht sein kann und auch nicht sein möchte, ist ein Faksimile dieses Geschehens. Vielmehr
spiegelt das Werk die Interpretation des Filmemachers wider. Diese kann man als postfaktisch be-
zeichnen – oder auch als eklektisch oder verfremdend (mehr im formalistischen als im Brecht’schen
Sinne) – oder als künstlerische Freiheit.
Vielleicht ist die Darstellung des Seymour Nebenzahl eine stereotype oder eine im Sinne der
Dramaturgie stehende funktionalistische, die aber keinesfalls auf seinen Glauben rekurriert. Eine
antisemitische Tendenz haben unsere Jurymitglieder daher nicht gesehen – ebenso wenig ist eine
solche Tendenz in der Filmkritik abgebildet.
Wir goutieren, dass Sie Ihr profundes Fachwissen einbringen, können Ihre Argumentation nachvoll-
ziehen und möchten keinesfalls Ihre Meinung abtun oder Ihre Erkenntnis desavouieren. Bei der
Bewertung von filmischen Werken (oder Kunstwerken generell) treffen häufig unterschiedliche
Auffassungen aufeinander. Auch in unseren Juryrunden werden verschiedene Ansichten und
Einschätzungen zugelassen, respektiert und ausgiebig diskutiert. Die letztliche Bewertung eines
Films entsteht dabei gemäß unserer Statuten nicht durch eine konsensuelle Entscheidung, sondern
durch eine Mehrheitsabstimmung.
Die FBW ist eine wichtige Stimme in der deutschen Filmlandschaft. Ob ein Film im Fernsehen ausge-
strahlt wird, liegt allerdings weit jenseits unseres Einflussbereichs. Wir können Ihnen daher leider
nicht unsere Unterstützung in dieser Angelegenheit anbieten, hoffen aber, wir konnten Ihnen mit un-
seren Informationen einen Einblick in unsere Arbeit geben.
Mit freundlichen Grüßen
i. A. Dr. Gregory Mohr
(Filmwissenschaftler)
Kurzer Kommentar: Zunächst wird abgearbeitet, was in die Statuten steht. Dann wird unterstellt,
JKs Kritik habe keine Ahnung von Filmkunst: also Ablenkung vom Thema. JKs Kritik bestehe auf
Alleinanspruch der Bewertung; JKs Kritik bestehe auf Gesinnung (Vorwurf: JK will Gleichschaltung:
>konsensuell<); JKs Kritik erkenne demokratische Entscheidungen nicht an.
Das Schreiben der FBW stellt selbst fest, dass vielleicht »eine stereotype oder eine im Sinne der
Dramaturgie stehende funktionalistische [Darstellung der Figur Nebenzahls vorliegen könnte],
die aber keinesfalls auf seinen Glauben [Nebenzahls Glauben, von dem nirgends die Rede war] re-
kurriert«. Allein der Verdacht (>vielleicht<) hätte bei Experten dazu führen müssen, die Stereotypen
zu überprüfen.
Mit dieser Feststellung hat der FBW sein Urteil selbst widerlegt.
Die FBW besteht trotzdem auf dieser irrwitzigen Logik:
Die antisemitische Tendenz könne schon deshalb nicht bestehen, weil die Film-ExpertInnen und der
Vorstand der FBW sie nicht gesehen haben; Kritik und Öffentlichkeit, die auch keinen Antisemitismus
erkannt haben, bestätigen den >Sachverhalt<. Folgerung: Antisemitismus kann deshalb nicht vorlie-
gen. Fakten, die das Gegenteil beweisen, haben keine Relevanz. Die Mehrheit hat entschieden. Wer
das nicht anerkennt, wird als undemokratisch erkannt. Also ist JKs Kritik undemokratisch.
In Kurzform: Antisemitismus in seinen verdeckten Formen, Mustern, Gefühlswerten wird nicht mehr
(oder schon wieder nicht) erkannt, d e s h a l b wird er geleugnet oder eben vorsätzlich ignoriert.
Es geht um einen sehr ernsten, weil durchs Fernsehen vor Millionenpublikum verbreiteten Fall von
Antisemitismus, der in sublimierten und unreflektierten ästhetischen Formen auftritt und des-
halb falsch geleitete Gefühle transportiert. Wenn diese Politisierung der Ästhetik, wie wir für die
Filmemacher annehmen, unbewusst übernommten wurde, so muss sie im Interesse einer öffentlich-
rechtlich fehlgeleiteten Öffentlichkeit zumindest durch die verantwortlichen Institutionen auch öffent-
lich-rechtlich offengelegt und diskutiert werden.
(8)
Bettina Buchler <buchler@fbw-filmbewertung.com>
Fr 26.02, 12:11 an: Knopf, Jan (GEISTSOZ);Rosetta Braun <braun@fbw-
filmbewertung.com>;Kathrin Zeitz <zeitz@fbw-filmbewertung.com>;Mathias Mayer <Mayer@fbw-
filmbewertung.com>;
Sehr geehrter Herr Knopf,
da muss sich etwas überschnitten haben. Unser Schreiben müsste jetzt bei Ihnen sein.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Buchler
Knopf, Jan (GEISTSOZ)
An: Bettina Buchler <buchler@fbw-filmbewertung.com 27.02.2021 09:55
Im Vorwort zum Antigonemodell 1948 stellte Brecht fest:
»Die Beschädigung an den Theatergebäuden ist heute weit auffälliger als die an der
Spielweise. Dies hängt damit zusammen, daß die erstere beim Zusammenbruch des
Naziregimes, die letztere aber bei seinem Aufbau erfolgte. So wird tatsächlich jetzt noch von
der >glänzenden< Technik der Göringtheater gesprochen, als wäre solch eine Technik über-
nehmbar, gleichgültig, auf was da ihr Glanz nun gefallen war. Eine Technik, die der Verhüllung
der gesellschaftlichen Kausalität diente, kann nicht zu ihrer Aufdeckung verwendet werden.
Und es ist Zeit für ein Theater der Neugierigen!«
Sehr geehrte Frau Buchler, sehr geehrter Herr Mohr,
vielen Dank für Ihre Antwort; ich weiß Ihre Mühe zu schätzen, auch Ihren Versuch, mir und meiner
Kompetenz nicht zu nahe zu kommen. Ich müsste ja eigentlich schon froh sein, wenn in diesen
Zeiten überhaupt noch Kommunikation zustandekommt.
Sehr geehrter Herr Mohr,
es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mich darüber aufklären, wie und unter welchen
Bedingungen Ihre Stelle arbeitet und bewertet. Grundkurse in Demokratie etc. habe ich hinter mir.
Auch kann ich sehr wohl zwischen Fiktion und Dokumentation unterscheiden. Dass Sie mit
Expertinnen arbeiten, habe ich nicht in Zweifel gezogen.
Diese Expertinnen haben entschieden, diesem Film das Prädikat »Besonders wertvoll« zu erteilen
und damit als vorbildlich und – nach den Vorbreitungen durch den SWR (Broschüre für Schüler ohne
den Marx-Satz) – auch für den Unterricht zum empfehlen. Ob Ihr Urteil Einfluss auf die Zulassung
der FSK ab 6 Jahren hatte, weiß ich nicht. Aber es dürften Zusammenhänge bestehen, sodass ich
auch hier Unbedenklichkeit im Urteil konstatiere.
Bestünde diese Unbedenklichkeit zu Recht, dann müsste dieser Film im besonderen Maße Ihren
obersten Grundsatz erfüllen: »Jeder Film ist an dem Anspruch zu messen, den er an sich selbst
stellt.«
In Ihrer Urkunde stellen Sie euphorisch fest, der Film realisiere: "Mehr als ein[en] Blick hinter die
Kulissen der historischen Ereignisse von damals". Das heißt: Auch dann, wenn der Film >Fiktion<
ist, vermittelt er nicht nur die historischen Ereignisse der endzwanziger und anfangdreißiger Jahre
verlässlich und überpüfbar, sondern er zeigt noch zusätzlich Hintergründe auf, die bisher so nicht be-
und erkannt waren. Was? Das sagen sie nicht.
Zu Ihrem Leitsatz kommt hinzu der Eigenanspruch des Films, den er explizit im Vorspann deutlich
und gut lesbar formuliert: »Alles, was Brecht im Film sagt, beruht auf Zitaten aus seinem gesam-
ten Werk und Leben.« Dieser Anspruch auf Realismus und der Anspruch, Brechts Ästhetik in
besonderer Weise umzusetzen, ist sehr hoch. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, ob der
Film diesen Anspruch erfüllt und ob er, wenn nicht, unkommentiert und an einem dunklen
Jahrestag der deutschen Geschichte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gezeigt werden sollte
(das ist kein Ruf nach Zensur!). Die (angeblich) historischen Hintergründe, die der Film ent-
deckt, könnten sich als aktuelle Abgründe entpuppen, und dies zu Zeiten, in denen allgemein
vor neu >aufflammendem< Nationalismus und Antisemitismus gewarnt wird.
Dazu halte ich nochmals die Fakten fest:
1. Die Expertinnen lassen in den Formulierungen keinerlei Zweifel daran, dass sie wissen, wie die
"wahrhaft Brecht'sche" Kunst (hier: Film) aussieht. Die Tatsache, dass sie >wiederspiegeln<
schreiben (in einer Urkunde!) und damit eine zentrale Kategorie der Ästhetik des Realsimus, mit der
Brechts Kunst ständig im Streit lag, verunstalten, lässt zumindest die Frage zu, ob solch apodiktische
Urteile genügend begründet sind.
2. Sowohl der Eigenanspruch als auch die Urkunde betonen den Realitätsgehalt des Films und be-
werten seinen Realismus als herausragendes Qualitätsmerkmal, sodass die Frage nach der künstle-
rischen Freiheit (die übrigens nach Brecht nur eine Ausrede für künstlerische Unzulänglichkeit ist)
zwar zulässig ist, diese aber besonderer Überprüfung bedürfte und keinesfalls als Begründung her-
halten kann, um >Abweichungen< zu rechtfertigen.
3. Tatsache ist und keine >Auffassung<, dass Brecht entgegen dem eigenen Vorspann exponiert
nicht Brecht, sondern Marx (als Brecht) zitiert (übrigens ein Zitat, das Brecht selbst nicht kannte),
also gegen den eigenen Anspruch verstößt, und dies auch an herausragender Stelle im Presseheft
wiederholt, sodass auch die Expertinnen der FBW zu befragen sind, wieso ihnen das nicht ausgefal-
len ist.
4. Tatsache ist und durch keinen Mehrheitsbeschluss umzukehren: Das, was Brecht sagt, wird ver-
fälscht, zum Teil böswillig entstellt oder auch im – nachprüfbaren – Sinn ins Gegenteil verkehrt. Dies
ist zum Beispiel mit der damals (historischer Hintergrund!) im deutschen Sprachgebrauch unbekann-
ten Formel >Sinn machen< der Fall, die Brecht auf exponierte Weise zu Beginn des Films in den
Mund gelegt wird. Was keinen Sinn hat, macht Sinn. Dass es sich nicht um einen Ausrutscher
(oder nur um Schlamperei) handelt, dokumentiert der Film selbst, indem er die Filmpassage als ty-
pisch in den Abschluss des Trailers als dessen Schlusspointe übernimmt und als >ästhetisches<
Prinzip des gesamten Films darstellt. Dies ist zwar witzig gemeint, aber mehr als peinlich, zumal in
Zeiten von #MeToo und heftigen Debatten um sprachliches #Gendern.
5. Tatsache ist, dass Eidinger als Brecht – das gehört zur genauen Zitierung – den Satz »die kisten
sind gepackt«, niederschreibt, während die lodernden Flammen des Reichstags in seinem
Gesicht glänzen. Da es sich um das vielleicht einschneidendste Ereignis in Brechts Leben handelt,
liegen hier geradezu ungeheuerliche Verzerrungen historischen Ereignisse vor. Brecht schrieb den
Satz vor dem Brand als Unterschrift auf das Foto (mindestens sieben Stunden vorher; eventuell
auch einen ganzen Tag vorher). Dieser Satz sowie das Foto werfen in der Tat nicht nur einen Blick
hinter die Kulissen der historischen Ereignisse: Brecht wusste also, dass da etwas geplant war,
und dies wohl kaum vom angeblich alleinigen Attentäter van der Lubbe! – Der Film dokumentiert den
eklatanten Fehler selbst, indem er das Foto >zitiert<, das Brecht (im Film) dann handschriftlich mit
dem Satz versieht. Das Foto zeigt deutlich, dass es bei Tageslicht aufgenommen wurde. Auch hier
gibt es nichts zu deuteln: überprüfbare Tatsache. – Es wäre nur anzumerken: diese Szene zeigt,
dass die Filmemacher zugunsten >glänzender< Technik und >glänzender< ästhetischer Effekte jeden
Realismus preisgeben (Filmlänge 2:01:10).
Das ist nicht nur nicht "Brecht'sche" Kunst, sondern expliziter Verrat an ihr. Spätestens an dieser
– wie gesagt – im Film selbst nachprüfbaren Verdrehung des historischen Ereignisses hätte aufmerk-
samen Begutachtern auffallen müssen, dass der Film durchgängig so arbeitet: Glänzend in der
Technik, abwegig, verzerrend im Inhalt.
6. Tatsache ist auch, dass der Einbau des Hoppla-Hoppla-Lieds der 5 Parodisters dem eigenen
Anspruch und Ihrer Verfahrensordnung widerspricht. Der Song stammt, was einfach zu eruieren ge-
wesen wäre, aus dem Nazifilm »Die Warschauer Zitadelle« von 1937; die Nazis setzten ihn ab April
1938 sofort als Propagandafilm für die politisch verhängnisvolle Lüge ein, sie hätten mit dem
>Anschluss< Österreich >befreit<. Flächendeckend lief er mit vielen Kopien in den Kinos, vor allem in
Wien. Pikant wird das Lied zusätzlich dadurch, dass es die Ludwig-Rüth-Kapelle (im Nazi-Film)
spielt und diese Kapelle nichts anderes war als die reGERMANISIERTE Lewis Ruth Band, eben
die, die die von den Nazis offiziell als >Niggermusik< verunglimpfte Musik in der Uraufführung der
"Dreigroschenoper", im "jüdischen Schmutzstück" zum Welterfolg führte. Ein Film, dem ein
Überangebot an historisch verbürgter Musik als >historische Ereignisse< (das waren sie, die Lieder
der Oper, eins fürs andere) zur Verfügung stand, muss schon wahrhaft schwerwiegende Gründe
dafür anführen, wieso er ausgerechnet diese – in vieler Hinsicht politisch belastete – Schnulze benö-
tigte, um einen Musikfilm anachronistisch damit >aufzufüllen<.
Da das Motiv des Nazi-Songs »Hoppla« im Mackie-Messer-Film – die Musikwissenschaft würde
sagen – das Leitmotiv abgibt (zu Beginn, bei der Übernahme der Bank, am Ende nochmals ausdrü-
cklich mit dem >falschen< Hintern u.a.) – muss der Einsatz des Lieds vorsätzlich gewesen sein. Das
dokumentiert auch der Trailer zum Film, der den >graziösen, aber sehr rhythmischen< Takt ganz im
Sinn der politisch einlullenden und von den Tatsachen ablenkenden Nazi-Propaganda-Zwecken über-
nimmt. Mir obliegt es nicht, das noch näher zu erläutern.
7. Tatsache ist auch, dass die Figur (des Films) Nebenzahl als >fieser Finanzkapitalist< (wie ein
Filmkritiker urteilte) gezeichnet ist, wobei ich nicht unterstelle, dass die Darstellung antiseminitisch
gemeint ist. Ein Film, der in politisch brisanten Zeiten spielt und der angeblich sogar >hinter die
Kulissen< blickt, kann mit einer historischen Person, die nie wirklich Gegenspieler von Brecht war,
nicht so umgehen (ich habe den Aufsatz von Asper zitiert, der da wesentlich harscher urteilt). – Ob
Ignoranz oder Schlamperei, so sollte ein heutiger Film, der seine eigenen Figuren nicht kennt und
sich offenbar um den bedeutenden, selber >linken<, sprich: gesellschaftskritischen Produzenten
Nebenzal (so die spätere Schreibung) als historische Person nicht kümmert, mit dem Thema
Finanzkapital im Kapitalismus nicht umgehen. Damit verfehlt der Film auch das Thema des von ihm
rekonstruierten Dreigroschenprozesses, der die Macht der Apparate über das Recht des Künstlers,
dem sein Werk >gehört< (per Gesetz), im Zeitalter der Kunstindustrie und der Massenunterhaltung,
in Aktion zeigt und keineswegs nach bekannten Formaten gerichtliche Auseinandersetzungen zwi-
schen Personen thematisierte. Noch heute gilt für konservative Ästhetik der Grundsatz: Das
Kunstwerk ist Ausdruck der Persönlichkeit. Nach den in den Zeitungen überprüfbaren Berichten
von >damals<, benahm sich Brecht – wie üblich – unflätig, ausfallend und in vieler Hinsicht >dane-
ben<; im Film sitzt er nur süffisant ironisch lächelnd herum und sondert seine geflügelten Worte ab.
8. Die Verunglimpfung von Carola Neher, von der als historische Person auch die Forschung
nichts weiß, wie sie selbst zugibt (Belege vorhanden), geschieht dadurch, dass sie als besoffene,
stolpernde Diva auftritt und der Lotte Lenja (im Film) einmal mehr das »Hoppla« entfahren darf, ein
HOPPLA, das am Ende des Films nochmals ihrem Hintern (Lottes) zugesprochen wird.
9. Wollte ich beginnen in ästhetische Einzelheiten zu gehen ..., gar in solche, die Brechts Ästhetik be-
treffen ..., würde ich Ihre Aufmerksamkeit strapazieren. Deshalb sehe ich auch von der Peinlichkeit
an, den Damen zu empfehlen, aufs Pissior zu gehen (dies sowohl im Film als auch im Trailer). Hat
die FSK Damenverbot ausgesprochen?
Ich darf Sie bitten, auch wenn Sie so großzügig erscheinen, meine >Erkenntnis< nicht >desavouie-
ren< zu wollen, endlich zur Sache zu kommen und Stellung zu beziehen. Auch ist es nicht ange-
bracht, mir tendenziell das >Gefühl< geben zu wollen, ich wollte die »Unabhängigkeit« Ihrer
Institution und Ihrer ehrenamtlichen Expertinnen in Frage stellen. Im Gegenteil: ich appelliere an
diese. Ich vertrete mit diesen Ausführungen nicht mich, sondern die (von mir unabhängigen und – ich
wiederhole – überprüfbaren, faktisch nachweisbaren Ergebnisse einer Wissenschaft (noch ist sie
eine).
Danach ist zu fragen, ob nicht mindestens zwei Kriterien zutreffen, die Sie in Ihrer Ordnung formulie-
ren: 4) Kein Prädikat erhalten Filme, die 1. gegen das Grundgesetz verstoßen oder
Persönlichkeitsrechte oder das sittliche oder religiöse Gefühl verletzen, und 4. in herabwürdigender
Weise der politischen Propaganda dienen.
Mit freundlichen Grüßen / gez. Jan Knopf
P.S.: Gelegentliche Buchstabendreher, Überbleibsel überarbeiteter Sätze u.a. bitte ich zu entschuldi-
gen, ich habe niemand, die/der Korrektur lesen könnte. Die ABB ist aufgrund allgemeinen
Desinteresses an Literaturwissenschaft nur mit mir >besetzt<. Danke.
(9)
Mackie Messer; denn das Messer sieht >man< nicht 29.03.2021 12:17
Knopf, Jan (GEISTSOZ) an
Bettina Buchler <buchler@fbw-filmbewertung.com>;Rosetta Braun <braun@fbw-
filmbewertung.com>;Kathrin Zeitz <zeitz@fbw-filmbewertung.com>;
Sehr geehrte Frau Buchler,
vielen Dank für die Mail, die Sie durch Gregory Mohr haben beantworten lassen, und vielen Dank
auch für Ihre Bereitschaft, auf meinen Einspruch zu antworten. Bei der allgemeinen Tendenz der
>Missachtung< ist das schon sehr viel. Ich schicke Ihnen die Antwort auf Herrn Mohr mit dem cc an
die Damen und Herren Ihrer Institution, damit nicht nur alle informiert sind, sondern sich auch direkt
angesprochen >fühlen<, wie ich es gern sähe. Denn es geht nicht um Persönliches, sondern um eine
Grundsatz-Angelegenheit. Und in dieser bleibe ich hartnäckig, auch wenn ich Ihnen damit auf den
Wecker gehen sollte.
Vielen Dank dafür auch, dass mir >sorgfältige Recherchen< zugebilligt werden. Ihre Antwort jedoch
wiederholt alle Stereotypen, die heutezutage angebracht werden, um das >Sinn machen< (so auch
im Film fromuliert) zu rechtfertigen und damit zu vergessen >zu machen<, dass grobe
Anachronismen (Geschichtsglitterung) und antisemitische Tendenzen sowie die Verunglimpfung von
historischen Persönlichkeiten keinen Sinn haben und dann auch noch prämiert werden. Ich stelle
fest, dass er Film (A) den Richtlinien der FBW und (B) dem Selbstanspruch des Films sowie (C)
durch seine Darstellungsweise den Richtlinien der FBW widerspricht, und zwar entschieden.
Da interessiert es wenig, ob Ihre ehrenamtlichen Gutachterinnen, allesamt Filmexpertinnen, ihr
Urteil >unabhängig< gefällt haben. Ich stelle fest, dass Ihre Jury offenbar Zusammenhänge nicht
kannte oder ignorierte. Es handelt sich z.B. bei der Übernahme von Nazifolklore um einen Film
(nicht um Theater), der als Quelle diente, und dann noch, was verschärfend hinzukommt, um einen
Film, der 1950 nochmals im Zuge einer Anti-Kommunismus-Kampagne in der Bundesrepublik
neu aufgelegt wurde. "Die Warschauer Zitadelle", die die Russen als >minderwertige Menschen<
darstellt, zählt zu den historischen Dokumenten, wie mit scheinbar harmloser Unterhaltung für den
nationalistischen Terror im Volk >Stimmung< erzeugt wurde. Das nicht bemerkt zu haben, gereicht
Ihrer Jury nicht zur Ehre, und ich weiß nicht, wie Sie und Ihre Instiution einen solchen Missgriff recht-
fertigen wollen. Jedenfalls nicht mit solchen Verweisen, schon gar nicht mit der Berufung auf
>Unabhängigkeit<. Ihre Selbstverpflichtungen sowie die Statuten Ihrer Institution werden Sie schon
einhalten müssen.
Wenn Ihre Expertinnen den Film nicht kannten, so sei ihnen das zugebilligt. Wenn dem so ist - und
hier liegt der Nachweis vor (ganz faktisch oder wie es heute heißen muss: als reale Realität) -, dann
muss das Urteil überprüft werden. - Schon dieser Fall reichte aus, das >ausgezeichnete< Prädikat
der FBW in Frage zu stellen.
Ich wiederhole - damit Sie, Ihre Jury und die sonstigen Beteiligten verstehen, worum es geht und
worum nicht:
Es geht nicht um die >Freiheit des Kunst<, auch nicht um den Ruf nach Zensur, auch nicht um allge-
meine Kritik (und so weiter) oder um Lesarten und Meinungen oder das Nachprüfen von >Glauben<
oder Gesinnungen. Ich wiederhole: Es geht darum, dass der Film antisemitische Tendenzen aufweist,
historische Personen verunglimpft (>üble Nachrede<), grobe Fehler im Zitieren macht sowie
Nazifolklore anachronistisch einbaut. Die wichtigsten habe ich im anliegenden Schreiben mit
Dokumenten nochmals faktisch, real real, nachgewiesen.
Der Film wurde mit öffentlichen Mitteln finanziert und auch sonst - etwa durch das >Filmfest
München< - öffentlich gefördert, und zwar bevor er überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich war,
wie es das Presseheft von WILD BUNCH belegt: Dort ist sowohl die Premiere auf dem Filmfest
München angezeigt als auch das Prädikat der FBW gesondert ausgewiesen und die Urkunde >faksi-
miliert<. Dazu kommt die Begründung durch die FBW. Sie stellt in ihrer Prädikatsurkunde fest: Dieser
Film sei "mehr als eine Verfilmung der Dreigroschenoper. Mehr als ein Blick hinter die Kulissen der
historischen Ereignisse von damals. Er ist ein Film, der Brechts Theaterkunst huldigt, indem er sie
meisterhaft auf die filmische Ebene überträgt. Ein wahrhaft Brecht'scher Film." - Dieses - sehr nach-
drückliche - Urteil betont, dass der Film >mehr< als nur Historie bietet, und das heißt, dass die histo-
rischen Ereignisse vor den Kulissen > von damals< im Film ohnehin (fraglos) gesichert sind
und den Fakten standhalten, der Film aber noch wesentlich mehr aufzudecken hat, nämlich
das, was sich da noch hinter den Kulissen versteckte, >damals<. Die Urkunde sagt allerdings
nicht: WAS.
Dieses Urteil sowie die öffentlichen Förderungen - zu der schon im Vorfeld z. B. die MFG Medien-
und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH 500.000 Euro zugeschossen hat - führten dazu,
dass der Film, der offenbar im Kino nicht die Kosten einspielte, auf ungewöhnlich dichte Weise in den
öffentlich-rechtlichen Medien erscheint. Auch frage ich mich, wie er auf dem Filmfest München 2018
Reklame für die bayerische Kultur- und Heimat-Politik machen durfte. Der Ministerpräsident hielt dort
eine Einführungsrede, nahm direkt Bezug auf den Film und verkündete zugleich von der Film-Kanzel
aus, dass er das Filmfest mit 3 Millionen Euro unterstützen werde. Dazu ließ er sich stolz mit dem
Team des Films ablichten und hatte ein blonde Frau an seiner Seite, deren Namen niemand kennt
(Foto anbei). Ich frage mich, wie da Unabhängigkeit der Urteile bewahrt worden sein soll. Die
Aufzeichnung ist merkwürdigerweise mit der Neuaustrahlung des Films am 27.02. 2021 (Jahrestag
des Reichstagsbrands) in 3sat bei YouTube verschwunden.
Auch war offenbar von vornherein geplant, den Film für den Unterricht, also zur Schul- und
Allgemeinbildung mit Lehrmaterialien aufzubereiten und entsprechend zu empfehlen sowie einzuset-
zen. Ihre Institution trägt mit dem Filmheft dafür die Verantwortung mit, weil auch da Ihr Prädikat als
Empfehlung auf der Titelseite glänzt.
Nach mehrfacher Prüfung ergibt sich der Sachverhalt, dass der Film für die Schulbildung nicht nur
nicht taugt, sondern ihr sogar abträglich sein dürfte, weil er die Technik vor die Ästhetik stellt (was ich
hier nur andeute) und damit einer >Ästhetisierung der Politik< huldigt - der Begriff stammt von Walter
Benjamin -, mit der die Nazis, wie wir wissen, erfolgreich >ihr< Volk vor-geführt und verführt haben.
Das erneute Erstarken von Rassismus und Antisemitismus in der Bundesrepublik kann nicht mit
schönen, meist Sonntags-Reden oder Kerzenaufstellen oder wie in Köln mit einer Straßenbahn, die
die närrische Aufschrift "Schalömchen" trägt, oder mit solchen Filmen, die >Aufklärung< versprechen,
aber Klischees tradieren, verhindert und bekämpft werden. Dieser Film arbeitet mit unterschwelli-
gen und alltäglich gewordenen, aber aus der Nazi-Zeit übernommenen Mustern, deren
Antisemitismus nicht mehr erkannt wird, und fördert damit deren Fortwirken. Insofern ist Ihr
Expertinnen-Urteil ein politischer Fall geworden.
Ich zeige mit meiner Dokumentation, die entschieden erweitert werden und dadurch Ihre Jury kaum
wird entlasten noch die Filmemacher dafür entschuldigen können, dass für sie bestimmte nationalisti-
sche, antisemitische Tendenzen bereits so selbstverständlich geworden sind, dass ihnen bei ihrer
Anwendung und öffentlichen >Vertretung< nicht einmal Absicht zu unterstellen ist. Zugleich weist
meine Dokumentation nach, dass Ihre Expertinnen-Jury sich zumindest nicht ausreichend mit dem
historischen Stoff und der Ästhetik des Films beschäftigt hat, um solche hochfahrenden Urteile fällen
zu können. Dass die Filmemacher und Produzenten mit ihrem vorauseilenden Selbstlob die Jury wie
auch die Presse getäuscht haben - das wurde auch bereits öffentlich in verschiedenen Organen
festgestellt (Belege kann ich nachreichen) -, kann die Jury nicht von der Verantwortung befreien, ihr
Urteil öffentlich verteidigen oder eben revidieren zu müssen. Das gilt auch für die VISION KINO, die
für sich für >Bildung< zu rechtfertigen hat (sie ist unterrichtet).
Ich vertrete hier nicht meine Meinung, sondern >meine< Wissenschaft. Ich vertrete auch nicht Brecht
(oder gar dessen >Erben<), und ich würde mir selbst als Experte ein Urteil wie >wahrhaft Brecht'sch<
nicht anmaßen. Es geht vielmehr um den wissenschaftlichen Anspruch meiner Dokumentation.
Diese Wissenschaft, die Literatur, Sprache und Medien umfasst, ist in der Universität als FACH eta-
bliert und legt nachprüfbare Fakten und allgemein-gültige, von der Person des Wissenschaftlers un-
abhängige, Erkenntnisse vor. Auf diese >Unabhängigkeit<, der >Wahrheit zu dienen<, haben wir
unseren Eid abgelegt. Die Fakten können, sollen, ja müssen überprüft werden; sie können aber auch
nur mit neuen Fakten widerlegt oder, wie in der Wissenschaft üblich, in ihrer Gültigkeit neu definiert
werden.
Mit verbindlichen Grüßen / Jan Knopf // 2 Anhänge
DOKUMENTATION Schreiben an FBW 03
DOKUMENTATION Schreiben an FBW 01