Gemeinhin wird alles, was Bertolt Brecht vor dem 31. August 1928, der Uraufführung der „Dreigroschenoper“ am Theater am Schiff-bauerdamm in Berlin, an Dramen, Gedichten und Liedtexten verfasst hat, wie eine Art Vorspiel zum großen Durch- und Aufbruch seiner Weltkarriere behandelt. Dass man das auch ganz anders handhaben kann, beweist der Literaturwissenschaftler Jan Knopf auf grandiose Weise mit „Bert Brechts Weimarer Geschichten: Soziale Biografie“. Brecht und Musik Brecht von der Musik her denken, von seinen Gedichten, deren Verse er schuf oder gar schmiedete, während er auf einer Wandergitarre dazu Akkorde anschlug. Wer sich über die Klanghaftigkeit seiner Strophen wundert, sollte deren Entstehung im Auge behalten. Wie etwa Jan Knopf, der Brecht mit dessen Art zu dichten als „Singer/Songwriter“ an die Seite von Bob Dylan und somit in einen popkulturellen Kontext stellt, von dem im engeren Sinne erst ab Ende der 1940er Jahre – mit dem Aufkommen von Massenidolen wie Frank Sinatra und der explosionsartigen Ausweitung der Schallplattenindustrie in den prosperierenden 1950er Jahren – gesprochen werden kann. Jahrzehnte vorher gab es vergleichbare Phänomene: Hits, die alle kannten und mitsangen. Musikverlage, die dafür Noten herausbrachten. Auch Tonträger gab es bereits in Form von Schellackplatten, die tausendfach über die Ladentische von Musik-fachgeschäften gingen, und die auf tragbaren Grammophonen sogar im Schwimmbad oder am Strand abgespielt werden konnten. Für den Auftakt seiner „sozialen Biografie“ über Brechts Weimarer Jahre wählt Knopf Brechts Eisenbahnfahrt nach Berlin im Februar 1920. Dabei soll die erste Fassung seines Gedichtes „Erinnerung an die Marie A.“ entstanden sein, für das er einen alten französischen Schlager von Charles Malo mit dem Titel „Tu ne m’aimais pas“ als Vorlage nutzte. Mit dem Vergleich zwischen Malos Gassenhauer und dem, was der Dichter daraus machte (und erstmals 1927 in „Bertolt Brechts Haus-postille“ mit Noten veröffentlichte) sowie dem, was heute noch an zeitgeschichtlichem Kontext realisiert werden kann, ist exemplarisch nachvollziehbar, wie der Autor sein etwas abseits der ausgetretenen Brecht-Forschungspfade angelegtes Sujet auch methodisch ungemein dicht darzustellen vermag. Aus Luxemburger Tageblatt, 29. September 2025, Seite 8
„Bert Brechts Weimarer Geschichten“
Brecht ist Pop
Der Autor und Literaturwissenschaftler Jan Knopf