AUSRADIERTZENSIERT   13. April 2022
»Eine Zensur findet nicht statt.« (Artikel 5GG) Denkste! Das »Jahrundertunternehmen« (NZZ) der Großen Brecht-Ausgabe (GBA) verleugnet der Brecht-Verlag seit jetzt fast 20 Jahren, obwohl die GBA als epochemachendes deutsch-deutsches Projekt begonnen und unter den neuen Bedingungen der Wiedervereinigung 2000 erfolgreich ab- geschlossen wurde. Die GBA weist, weil sie von den Brecht-Erben zensiert, in der DDR sabotiert und von den Verlagen Suhrkamp und Aufbau nach der Wende fallen- gelassen wurde, viele Fehler auf, die Suhrkamp nicht bereit ist, durch Einzelausgaben zu korrigieren. Sie liegen seit 2007 auf dem Tisch der ABB und könnten gedruckt werden. Deshalb richten wir die Rubrik ►Ausradiert / Zensiert◄ in diesem BLOG ein. Hier erscheinen die unterdrückten Brecht-Texte exklusiv - nur bei uns! Der erste Text ist das >Lustmordspiel mit Jazzmusik<: Mann ist Mann in seiner Urfassung vom Herbst 1925 (Erstdruck); später folgen: 1. Lenins rote Horrorarmee: Der Gesang der Soldaten der roten Armee. 2. Der politische Bazillus für Massenpsychosen: Eine Befürchtung. 3. Lindberghflug (mit Kurt Weill und Paul Hindemith) (wird fortgesetzt).
Mann ist Mann
oder
Die Verwandlung des Packers Galy Gay in den Militärbaracken von Kilkoa im Jahre neunzehnhundertundfünfundzwanzig.
Lustspiel von Berthold Brecht
Personen: Uria Shelly, Jesse Mahoney, Polly Baker, Jeraiah Jip – vier Soldaten einer Maschinengewehrabteilung der britischen Armee in Indien · Lionel Fairchild, genannt Blody Five, Sergeant · Galy Gay, ein irischer Packer · Galy Gays Frau · Herr Wang, Bonze einer tibetanischen Pagode · Mah Sing, seine Messner · Leokadja Begbick, Kantinenbesitzerin · Hiobja, ihre Tochter · Drei Tibetaner · Soldaten
I. Straße in Kilkoa Galy Gay und Galy Gays Frau Galy Gay: Liebe Frau, ich habe mich entschlossen, heute, entsprechend unserem Einkommen, einen Fisch zu kaufen. Es übersteigt das nicht die Verhältnisse eines Packers, der nicht trinkt, ganz wenig raucht und fast keine Leidenschaften hat. Meinst Du, ich soll einen großen Fisch kaufen oder benö- tigst Du einen kleinen? Frau: Ein kleinen. Galy Gay: Von welcher Art aber soll der Fisch sein, den Du benötigst? Frau: Ich denke an eine Art Flunder. Aber nimmt Dich, bitte, vor den Fischweibern in acht, sie sind lüstern und auf Männer aus, und Du hast ein weiches Gemüt, Galy Gay. Galy Gay: Das ist wahr, aber ich hoffe, dass sie einen mittellosen Packer vom Hafen in Ruhe lassen. Frau: Dann sind da noch die Soldaten, welche in ungezählten Mengen am Bahnhof ankommen sol- len, bestimmt stehen sie alle auf dem Markt herum und man muss froh sein, wenn sie nicht einbre- chen und töten, auch sind sie gefährlich für einen einzelnen Mann, weil sie immer zu viert sind. Galy Gay: Einem einfachen Packer vom Hafen werden sie nichts tun wollen. Frau: Das weiß man nicht. Galy Gay: Stelle sie also das Wasser auf für den Fisch, denn ich spüre schon Appetit, und ich bin in einer Minute zurück. Frau: Bitte, schweife nicht herum, ich werde mich in der Küche einriegeln, dass Du nicht ängstlich sein musst der herumstreichenden Soldaten wegen.
II. Straße bei der alten Gelbherrenpagode Vier Soldaten: Uria Shelley, Jesse Mahoney, Polly Baker, Jerome Jip mit einem Maschinengewehr auf dem Wege zum Camp. Sie haben Whisky getrunken und singen: „It’s a long way to tipperary". Jesse: Das Ganze halt! Kilkoa! Gleich wie die gewaltigen Tanks unserer Queen mit Petroleum aufgefüllt werden müssen, damit man sie über die verdammten Straßen dieses zu langen Goldlandes rollen sehen kann, so ist den Soldaten das Whiskytrinken unerlässlich. Jip: Wieviel Whisky haben wir noch? Polly: Vier Mann sind wir. Fünf Flaschen haben wir noch. Also müssen elf Flaschen noch beschafft werden. Uria: Es gibt Leute, die gegen Soldaten etwas haben, aber eine einzige dieser Pagoden enthält mehr Kupfer als ein einziges Regiment braucht, um von Kalkutta nach London zu marschieren. Polly: Diese Anregung unseres lieben Polly in Bezug auf eine wohl baufällige und fliegenverschissene, aber vielleicht mit Kupfer ausgestopfte Pagode ist es durchaus wert, dass man ihr menschlich näher tritt. Jip: Was mich betrifft, ich muss mehr trinken, Polly. Uria: Sei stille, mein Herr, dieses Asien hat ein Loch, durch das man hineinkriechen kann. Jip: Uria, Uria, meine Mutter sagte mir oft, Du kannst alles machen, herzallerliebster Jeraiah, aber hüte Dich vor Pech, und hier riecht es nach Pech. Polly: Die Tür ist angelehnt. Jesse: Gib acht, Uria, da steckt sicherlich eine Teufelei dahinter. Uria: Wozu sind hier Fenster? Macht aus Euren Riemen eine lange Angel für die Opferkästen. So. Er angelt, ins Fenster gelehnt, im Innern: Polly: Hast Du was? Uria: Nein, aber meine Mütze ist hineingefallen. Polly: Teufel, Du kannst nicht ohne Mütze in den Camp kommen! Uria: Ich kann Euch sagen, ich angle da Dinge! Das ist ein entsetzliches Etablissement! Seht nur her! Er zeigt zwei Arme voll Ratten- und Fuchsfallen. Jesse: Geben wir es auf. Das ist kein gewöhnlicher Tempel, das ist eine Falle. Uria: Tempel ist Tempel. Die Mütze muss ich noch herausholen. Wie wäre es zum Beispiel mit dieser Bambus-Glockenstange? Polly: Ja, so geht es. Uria klettert hinauf. Die Stange biegt sich. Uria: Sie biegt sich über die Altane, seht Ihr, aber lange nicht genug, ich bin zu leicht, komm herauf, Polly. Polly klettert hinauf, die Glockenstange biegt sich außerordentlich und auch die Glocke fängt an, außerordentlich zu läuten. Uria: Stopft ihr das Maul, Jesse! Polly: Bist Du ein Scharfschütze oder nicht? Jesse schießt die Glocke hinunter, Polly schreit. Jesse: Was hast Du denn, Du machst ja mehr Lärm als fünf Glocken? Uria: Sie ist ihm auf den Fuß gefallen. Obacht! Ich springe jetzt! Springt und fällt durch, weil der Altanboden nicht hält. Uria: Au! Polly: Ist der Altan angesägt? Oh Gott, ich kann mich nicht mehr lang halten. Jesse: Vollständig unfair. Uria: Feigling, herunter! Polly: Du hast leicht reden! Uria: Ich? Wieso? Ich habe mir mein Bein kaputt gesprungen. Polly rutscht herunter in die Fuchsfallen hinein. Polly: Au! Jesse: Gerade in die Fallen hinein! Polly: Das tut fruchtbar weh. Jip: Habt Ihr Geld gefunden? Jesse: Glaubt Ihr nicht, dass wir zu viel getrunken haben, um einer so eigentümlichen Sache gewachsen zu sein, wie es dieser selbsttätige Tempel zu sein scheint.
Uria: Jetzt höre ich nicht mehr auf. Schau Polly an! Jetzt tritt die Sache in ein ernstes Stadium. Gebt Eure Pässe her, die Militärpässe dürfen nicht beschädigt werden. Denn ein Mann kann jederzeit er- setzt werden, aber es gibt nichts Heiliges mehr, wenn es nicht ein Pass ist. Sie liefern ihm die Pässe ab. Polly: Polly Baker. Jip: Jerome Jip. Uria: Uria Shelley. Sämtlich im achten Regiment, Standort Kankerdan. Maschinengewehr-Abteilung. Vorwärts! Sie klettern auf einer Feuerwerksleiter aufs Dach und kriechen in die Pagode. Oben in einer Luke er- scheint das gelbe Gesicht des Herrn Wang. Jip: Guten Tag. Sind Sie der Herr Eigentümer? Hübsche Gegend! Uria: Reiche mir jetzt Dein Brotmesser, Jesse, dass ich das Opferkästlein erbreche. Herr Wang lächelt und auch Jip lächelt. Jip: Es ist einfach furchtbar, zu solchen Nilpferden zu gehören, kommt doch heraus, Ihr! Ein Mann geht im ersten Stock heraus. Innen in Abständen elektrische Glocken. Uria: Pass doch auf, wo Du hintrittst! Was ist los, Jip? Jip: Ein Mann im ersten Stock! Uria: Ein Mann? Sofort heraus! Hallo! Geschrei und Fluchen durcheinander. Tu doch Deinen Fuß weg! Lass Los! Jetzt kann ich den Fuß nicht mehr bewegen! Der Stiefel ist auch hin! Aber nur nicht schlappmachen, Polly! Niemals! Jetzt ist es die Jacke, Uria! Was ist eine Jacke! Dieser Tempel muss hin sein! Was ist denn? Teufel, meine Hose pappt an! Das kommt von Deiner Eile! Jip, dieses Kalb! Jip: Habt Ihr jetzt was gefunden? Whisky? Rum? Gin? Brandy? Ale? Jesse: Uria hat seine Hose an einem Bambushaken aufgeschlitzt, und Pollys Stiefel am gesunden Fuß steckt in einem Schlageisen. Polly: Und Jesse selbst hängt am elektrischen Draht. Jip: Das dachte ich gleich. Geht durch die Tür hinten. Die Drei steigen blass, zerlumpt und blutend oben heraus. Polly: Dafür muss Rache sein! Uria: Das ist keine Kampfesweise mehr. Das ist viehisch. Polly: Ich muss Blut sehen! Jip: von innen Hallo! Polly: geht blutdürstig aufs Dach vor und bleibt mit dem Stiefel hängen Jetzt ist auch sein anderer Stiefel hin! Uria: Jetzt schieße ich alles zusammen. Die drei steigen herunter und richten das Maschinengewehr auf die Pagode. Polly: Feuer! Sie geben Feuer. Jip: Au! Was macht Ihr denn? Uria: Wo steckst Du denn? Jip: Hier, eine Storestange ist mir auf den Kopf gefallen, und jetzt habt Ihr mir durch den Finger geschossen. Jesse: Was zum Teufel machst Du in dieser Rattenfalle? Jip: Ich wollte das Geld holen. Hier ist es. Uria: Der Betrunkenste von uns hat es natürlich auf den ersten Griff. Laut. Kommt sogleich wieder aus dieser Tür heraus. Jip: steckt den Kopf oben heraus Wo, sagst Du? Uria: Zu dieser Tür heraus. Jip: Oh, was ist das? Polly: Was hat er? Jip: Schaut mal! Uria: Noch was? Jip: Meine Haare! O meine Haare! Ich kann nicht mehr vorwärts, und auch nicht mehr rückwärts! O meine Haare! Sie hängen an etwas fest! Uria, sieh nach, was mir am Haar klebt! Oh, Uria, mach mich los! Ich hänge an meinem Haar!!
III. Menschenleere Straße zwischen Kilkoa und dem Camp. Der Sergeant Blody Five tritt hinter einem Baume hervor und nagelt ein Plakat an den Baum. Blody: Lange ist nicht für mich, Blody Five, genannt Tiger von Kilkoa, Sergeant der englischen Armee, etwas so wunderbar gewesen! zeigt mit dem Finger auf das Plakat Einbruch in de Gelbherrpagode, das Dach der Gelbherrpagode durchlöchert von Kugeln, als Indizien findet man am Dach ein Viertelpfund Haare! Wenn das Dach durchlöchert ist, muss eine Maschinengewehrabteilung dahinter stecken, wenn ein Viertelpfund Haare am Tatort ist, dann muss es einen Mann geben, dem dieses Viertelpfund fehlt. Wenn sich aber in einer Maschinengewehrabteilung ein Mann mit einem Glätzchen findet, dann sind das Verbrecher. Ei, ei, wer kommt denn da??? Tritt hinter den Baum zurück. Die Drei kommen und sehen das Plakat mit Schrecken. Blody: tritt hervor Ihr seid doch die neue Maschinengewehrabteilung. Ich bin nämlich Euer lieber Sergeant. Habt Ihr nicht einen Mann mit einem Glätzchen gesehen? Polly: Nein. Blody: Wo ist denn Euer vierter Mann? Uria: Ach, Sergeant, der verrichtet seine Notdurft. Blody: Dann wollen wir doch auf ihn warten, ob er nicht einen Mann mit einem Glätzchen gesehen hat. Sie warten. Blody: Er hat eine lange Notdurft. Jesse: Vielleicht ist er einen anderen Weg gegangen. Blody: Ich sage Euch, es wäre besser, Ihr hättet Euch gegenseitig im Mutterleib erschossen, als dass Ihr heut zum Appell kommt ohne vierten Mann. Ab. Uria: Vor es zum Appell trommelt, müssen wir jetzt einen vierten Mann haben. Polly: Hier kommt ein Mann. Lasst uns ihn heimlich betrachten. Sie verstecken sich. Uria: Und vor eine Nacht herum ist, müssen wir Jip haben. Galy Gay kommt. Er trägt der Witwe Begbick den Gurkenkorb nach. Leokadja: Das ist hier eine Straße, die nur spärlich benutzt wird. Eine Frau würde hier gegenüber einem Mann, der sie umfangen wollte, einen schweren Stand haben. Galy Gay: Sie, die Sie von Berufs wegen als Kantinenbesitzerin es immer mit Soldaten, die die schlimmsten Menschen auf der Welt sind, zu tun haben, kennen sicherlich da gewisse Griffe. Leokadja: Ach, mein Herr, so etwas sollten Sie keiner Frau sagen. Gewisse Wörter setzen die Frauen in einen Zustand, in dem ihr Blut erregt wird. Galy Gay: Ich bin nur ein einfacher Packer vom Hafen. Leokadja: Der Appell für die Neuen findet in wenigen Minuten statt. Wie Sie hören, wird schon ge- trommelt. Jetzt ist niemand mehr unterwegs. Galy Gay: Wenn es wirklich schon so spät ist, muss ich eilig zurück in die Stadt Kilkoa, denn ich habe noch einen Fisch zu kaufen. Leokadja: Gestatten Sie mir die Frage, Herr, wenn ich Ihren Namen richtig verstanden habe, Galy Gay, ob für den Beruf eines Packers große Städte nötig sind? Galy Gay: Ich hätte nicht geglaubt, dass ich auch heute wieder fast zehn Stunden durch lauter Unvorhergesehenes abgehalten werden würde, rasch einen Fisch zu kaufen und heimzugehen. Leokadja: Es ist zweierlei, einen Fisch zum Fressen kaufen und einer Dame beim Korbtragen behilf- lich zu sein. Aber vielleicht wäre die Dame in der Lage, sich in einer Form erkenntlich zu zeigen, die den Genuss eines Fischessens aufwiegt. Galy Gay: Offen gestanden: ich möchte gern einen Fisch kaufen gehen. Leokadja: Ich verstehe, mein Herr. Aber glauben Sie nicht, dass es jetzt schon zu spät ist, die Läden sind zu, und die Fische sind ausverkauft. Galy Gay: Sehen Sie, ich, ein Mann von großer Vorstellungsgabe habe einen Fisch zum Beispiel schon satt, vor ich ihn gesehen habe! Da gehen sie hin, einen Fisch zu kaufen, und dann erstens kaufen sie diesen Fisch und dann zweitens tragen sie ihn heim, diesen Fisch und drittens kochen sie ihn gar, diesen Fisch, und viertens fressen sie ihn auf, diesen Fisch, und des nachts, wenn Sie schon unter Ihre Verdauung einen Strich ziehen, dann sind sie immer noch mit demselben traurigen Fisch beschäftigt, weil Sie eben Leute ohne Vorstellungsgabe sind. Leokadja: Dann schlage ich Ihnen vor, für das Geld, das Sie für den Fisch bestimmt haben, diese Gurke zu kaufen, die ich Ihnen aus Gefälligkeit ablassen würde. Die drei kommen eilig des Wegs. Galy Gay: Aber ich benötige allerdings keine Gurke. Leokadja: Ich hätte nicht erwartet, dass Sie mich so beschämen würden. Galy Gay: Es ist nur, weil das Wasser für den Fisch schon aufgesetzt ist. Leokadja: Ich verstehe, ganz wie Sie wollen, ganz wie Sie wollen. Galy Gay: Nein, nein, glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen gern gefällig sein würde. Leokadja: Schweigen Sie, Sie reden sich nur immer mehr hinein. Galy Gay: Ich will Sie keinesfalls enttäuschen. Wenn Sie mir die Gurke jetzt noch ablassen wollten, wäre hier das Geld. Uria: zu Jesse und Polly Das ist ein Mann, der nicht nein sagen kann. Galy Gay: Obacht, hier stecken Soldaten. Leokadja: Gott weiß, was sie hier noch zu suchen haben. Es ist knapp vor dem Appell. Geben Sie mir rasch meinen Korb, es schein wenig Sinn zu haben, dass ich hier noch länger mit Ihnen meine Zeit verschwatze. Ab. Uria: Das ist unser Mann. Jesse: Einer, der nicht nein sagen kann. Polly: Er hat nur keine roten Haare wie unser Jip. Jesse: Einem geschenkten Barsch schaut man nicht in den Mund. Polly: Schöner Abend heute Abend. Galy Gay: Jawohl, mein Herr. Polly: Sehen Sie, es ist merkwürdig, Herr, aber ich kann den Gedanken nicht aus dem Kopf bringen, dass sie aus Kilkoa kommen müssen. Galy Gay: Aus Kilkoa? Allerdings. Dort ist meine Hütte sozusagen. Polly: Das freut mich ungemein, Herr … Galy Gay: Galy Gay. Polly: Ja, Sie haben dort eine Hütte, nicht? Galy Gay: Kennen Sie mich denn, weil Sie das wissen, oder vielleicht meine Frau? Polly: Ihr Name, ja Ihr Name ist – einen Augenblick – Galy Gay. Galy Gay: Ganz richtig, so heiße ich. Polly: Ja, das wusste ich gleich. Sehen Sie, ich bin nun einmal, ich weiß zum Beispiel einfach, dass Sie verheiratet sind. Aber warum stehen wir hier herum, Herr Galy Gay. Kommen Sie doch in unsere Kantine, eine Pfeife mit uns rauchen. Galy Gay: Vielen Dank. Leider erwartet mich meine Frau in Kilkoa. Auch habe ich selber keine Pfeife, was Ihnen lächerlich erscheinen mag. Polly: Dann also eine Zigarre. Was, das können Sie nicht abschlagen, es ist ein so schöner Abend, und da sind auch meine Freunde Jesse und Uria. Galy Gay: Nun, da kann ich allerdings nicht nein sagen. Polly: Und Sie sollen auch Ihre Zigarre haben. Alle vier ab.
IV. Kantine. Witwe Begbick und Hiobja schälen Gurken in der Dämmerung. Hiobja: Wenn Du nicht so viel rohes Fleisch essen würdest, dann wäre unser Trinksalon das beste Geschäft in der ganzen Armee. Leokadja: gibt ihr eine Ohrfeige Und wenn ich noch ein einziges Mal bemerke, dass Du zuschaust, hänge ich Dich am Klosett auf, Du Blume am staubigen Weg der Soldaten. Nimm die Gurken mit! Beide ab. Herein die drei mit Galy Gay. Polly: Lieber Herr, Sie sind in der Lage, drei armen Soldaten in Bedrängnis einen kleinen Gefallen zu erweisen, ohne dass es für Sie etwas ausmacht. Unser vierter Mann hat sich mit seiner Frau beim Abschied verspätet, und wenn wir beim Appell nicht zu viert sind, werden wir in die schwarzen Kerker von Kilkoa geworfen. Es wäre uns also geholfen, wenn Sie einen unserer Soldatenröcke anzögen und bei der Abzählung der Neuangekommenen dabeistünden und seinen Namen riefen. Das wäre alles. Eine Zigarre mehr oder weniger, die Sie dabei vielleicht auf unsere Kosten zu rauchen wün- schen, spielt natürlich keine Rolle. Galy Gay: Es ist nicht, als ob ich Ihnen nicht gern gefällig wäre, aber ich muss leider rasch heim und kann deshalb nicht ganz, wie ich möchte. Polly: Wir danken Ihnen. Ich habe das offen gestanden von Ihnen erwartet. Das ist es: Sie können nicht, wie Sie möchten. Sie möchten heim, aber Sie können nicht. Wir danken Ihnen, mein Herr, dass Sie das Vertrauen, das wir in Sie setzten, als wir Sie sahen, verdienen. Jesse: Ihre Hand, mein Herr. Uria: Erlauben Sie, dass wir Ihnen zu diesem Zwecke das Ehrenkleid der großen britischen Armee anlegen. Galy Gay: Ist das nicht eine Ehre, Herr Uria, die einem einfachen Packer vom Hafen gar nicht zusteht? Polly: Kein Wort weiter, was die Ehre betrifft, so wäre sie nur auf Seite der englischen Armee. Galy Gay: Ist das nicht zuviel gesagt, Herr Polly? Polly: Sprechen wir mit der Besitzerin der Campkantine, der weitberühmten Witwe Begbick? Wir sind die Maschinengewehrabteilung der achten Kompagnie. Ist ein offenes Wort bei Ihnen erlaubt, Witwe Begbick? Galy Gay: Wenn ich offen sein soll, Herr Uria, so wollte ich vorhin eigentlich nach Hause gehen. Leokadja: So, eine Montur habt Ihr verloren? Polly: Ja, in der Badebude hat es ein Chinese gedreht, dass unser Kamerad Jip um seinen Soldatenrock kam. Leokadja: So, in der Badebude? Jesse: Offen gesagt, Witwe Begbick, es handelt sich um einen Spaß. Leokadja: So, um einen Spaß? Polly: Ist es nicht vielleicht wahr, lieber Herr? Handelt es sich nicht um einen Spaß? Galy Gay: Ja, es handelt sich sozusagen um eine – Zigarre. Lacht. Auch Soldaten lachen. Leokadja: Wie machtlos ist doch eine schwache Frau gegen vier so starke Männer! In jeder Beziehung! Es soll niemand der Witwe Begbick nachsagen, sie habe einen Mann nicht seine Hosen wechseln lassen. ab Galy Gay: schnell Was ist es eigentlich? Jesse: Es ist eigentlich gar nicht. Alle lachen. Galy Gay: Ist es nicht gefährlich, wenn es entdeckt wird? Polly: Gar nicht. Und für Sie ist einmal keinmal. Galy Gay: Das ist richtig. Einmal ist keinmal. So heißt es. Leokadja: Kehrt mit der Montur zurück Polly: Da ist ja diese Ehrenkleid, das wir für Sie kaufen. Ziehe dieses Kleid an, Bruder Galy Gay! Leokadja: Es kostet zehn Schillings, das ist geschenkt. Polly: Zehn Schillinge!! Uria: Das ist blutsaugerisch. Höchstens drei. Es ist ja auch viel zu klein. Jesse: am Fenster Da sind jetzt plötzlich Regenwolken. Was nützt uns alles, wenn es jetzt regnet! Galy Gay: Zu klein. Ich werde nicht hineinkommen. Polly: Hören Sie, er kommt nicht hinein. Jesse: Ich glaube nicht, dass es in die Lederkiste hineinregnet Und wenn es hineinregnet, so wird Jip eben nass. Galy Gay: Auch die Stiefel. Sie drücken furchtbar. Uria: Alles zu klein. Unbrauchbar! 2 Schillinge! Polly: Schweig, Uria! 7 Schillinge, weil alles zu klein ist, und besonders die Stiefel sehr drücken. Ist es nicht so? Galy Gay: Außerordentlich. Sie drücken ganz besonders. Jesse: Aber wer immer der Besitzer dieser Lederkiste sein mag, in die wir unseren Jip gestopft haben, im Regen wird er sie nicht stehen lassen. Leokadja: Gut, weil Sie es sind, Herr Uria; 8 Schillings. Polly: Drücken sie sehr? Uria: Der Herr ist nicht so wehleidig, wie Du, Polly! Jesse: Glauben Sie, dass es regnet, Witwe Begbick? Leokadja: Ja, da müsste ich den Sergeanten Blody Five anschauen; es ist armeebekannt, dass er bei Regengüssen in schreckliche Zustände von Sinnlichkeit verfällt und sich äußerlich und innerlich verändert. Jesse: Es darf nämlich bei unserem Spaß auf keinen Fall regnen! Jack: Appell! Es ist wegen der Pagodengeschichte. Es soll einer fehlen. Darum werden die Namen aufgerufen. Jesse: zu Galy Gay Sie brauchen nur den Namen Jip zu rufen. Möglichst laut und sehr deutlich. Es ist gar nichts. Polly: Der Name unsere verlorenen Kameraden ist nämlich Jeraiah Jip. Galy Gay: höflich Jeraiah Jip. Polly: Es ist angenehm, gebildete Leute zu treffen, die sich in jeder Lage zu benehmen wissen. Die vier gehen unter gegenseitigen Verbeugungen nach hinten ab. Jesse: im Abgehen Wenn es nur nicht regnet. Leokadja: Jetzt stellt sich da vor Blody Fives Augen ein Mann im Glied auf, der gar kein Soldat ist. Dieser Packer Galy Gay aus Kilkoa ist ein eigentümlicher Mann. Da kommt Blody Five. Warum geht er so unnatürlich? Geht er nicht so wie ein Bajonettständer? Blody Five tritt auf, entsetzlich verändert. Leokadja: sieht ihn an Hallo, Hiobja, schnell. Ziehe das Regendach über die Kantine. Es gibt Regen. Blody: während die achte Kompagnie ihre Namen sagt Sie lachen. Aber ich sage Ihnen, ich möchte dies alles verbrennen sehen, dieses Sodom mit Bartisch und Schaukelstuhl und Dir, die Du allein ein Gomorrah bist. Schau mich nicht so verzehrend an, Du getünchtes Babylon. Leokadja: Da reden Sie daher! Wenn Sie Ihr Hinterteil sehen könnten! Geben Sie‘s auf! Blody: Der Zusammenbruch der Menschheit fing damit an, dass der erste dieser Kaffern seinen Knopf nicht zumachte. Daraus entstand Unzucht, Krankheit und Feigheit. Seit zwanzig Jahren lasse ich diese Burschen in zehn Meter tiefe Löcher tauchen, und wenn ich sie am Morgen zu Gesicht be- kommen, sehe ich, dass ihr Knopf offen steht. Halt Dein Maul!! Das Exerzierreglement ist ein Buch voller Schwächen, aber es ist das Einzige, an das man sich als Mensch halten kann, weil es einem Rückgrat gibt und die Verantwortung vor Gott übernimmt. Ja sollte man denn diese Rotzer, die den Ernst des Lebens niemals begreifen wollen, nicht zu Hackfleisch verarbeiten? Halt Dein Maul!! Die einzigen lichten Momente meines Lebens waren die, wenn ich einige oder auch nur einen dieser Schurken gefasst habe. Ich bin ein sanfter Mensch. Das ist vielleicht meine schwächste Seite. Und die Stunde wird kommen, daran glaube ich, davon gehe ich nicht ab, das ist es, was mich in Form hält. Halt Dein Maul!! In Wirklichkeit müsste man in die Erde ein Loch graben und da hinein Dynamit tun und den ganzen Erdball in die Luft sprengen, dann würden sie vielleicht sehen, dass man ernst macht. Kommandostimmen draußen: Die Maschinengewehrabteilung zum namentlichen Appell! Blody Five: Ah, das ist gut. Wenn ich jetzt einen fassen könnte, das würde im Handumdrehen wie- der einen Soldaten aus mir machen. Und ich glaube, ich kann jetzt schon sagen, in wenigen Minuten wird Blody Five einen fassen. Singt Johnny, pack Deinen Koffer…. Ei, diese listigen Stachelschweinchen! Da dachten sie, sie brauchten ihren vierten Mann mit dem Glätzchen am Kopf nur wegzuschaffen. Ihr dachtet, man durchschaut Euch, wenn er da ist, aber jetzt fasst man Euch, weil er fehlt. Er hört jetzt die drei ihren Namen rufen. So, und jetzt kommt da eine kleine Lücke. Galy Gays Stimme: Jeraiah Jip. Blody Five: enttäuscht Das ist furchtbar! Jetzt haben sie wieder etwas Neues gedreht. Leokadja: Ich sage Ihnen, Sergeant, vor der schwarze Regen von Nepal durch zwei Nächte gefallen ist, werden Sie so mild gegen die menschliche Missetat gestimmt sein wie Buddha. Das wird für sie der schwarze Regen von Nepal bringen. Denn Sie sind vielleicht der geschlechtlichste Mensch unter der Sonne. Sie werden mit der Insubordination an einem Tisch sitzen und die Tempelschänder wer- den Ihnen tief in die Augen blicken, denn Ihre eigenen Verbrechen werden so zahllos sein, wie der Sand am Meer. Blody Five: Ei, da würden wir aber durchgreifen. Seien Sie überzeugt, meine Liebe, da würden wir gegen dieses kleine mutwillige Blodyfifechen in einer grundlegenden Weise durchgreifen. Salut Schlampe. Ab. Polly: Ein Glas Whisky auf Ihr Wohl, Herr? Galy Gay: Oh, einen kleine Gefälligkeit unter Männern kann nie schaden. Sehen Sie, ich trinke da jetzt ein Glas Whisky wie Wasser und sage mir, diesen Herren war damit genützt. Und es kommt ja auch nur darauf an in der Welt, dass man auch einmal einen kleinen Ballon steigen lässt und Jerome Jip sagt, wie ein anderer guten Abend, und so ist, wie die Leute einen haben wollen, denn es ist ja so leicht. Polly: Leider haben wir große Eile. Es geht ein gefährlicher Regenwind. Wir müssen nämlich noch einen Herrn kahl scheren. Galy Gay: Könnte ich Ihnen nicht auch da behilflich sein? Uria: Es gibt Leute, die ihre Nase in gar alle Angelegenheiten hineinstecken müssen. Wenn man sol- chen Leuten den kleinen Finger reicht, nehmen sie gleich die ganze Hand. Polly: Trinken Sie einige Cocktails auf unsere Rechnung Im Abgehen Wenn wir erst einen Jipkopf mit der Schere behandelt haben, dann wird es auf ihm weniger Haare geben als auf einem Waschkessel. Es darf nur nicht regnen. Es darf nicht regnen! Leokadja: bringt einen Cocktail für Galy Gay Haben wir uns heute nicht schon gesehen? Galy Gay: schüttelt den Kopf. Leokadja: Hießen Sie nicht Galy Gay? Galy Gay: schüttelt den Kopf. Leokadja: Sind sie nicht der Mann, der mir den Gurkenkorb getragen hat? Galy Gay: Nein, ich bin es nicht. Leokadja: Wollen Sie jetzt nicht heimgehen? Galy Gay: Glauben Sie, dass in dieser Angelegenheit schon das letzte Wort gesprochen ist? Leokadja: Glauben Sie nicht, dass Sie ein zu neugieriger Mann sind? Am Fenster Jetzt regnet es. Regen.
VI. In Herrn Wangs Geldherrpagode. Nacht. Herr Wang und ein chinesischer Messner. Messner: Es regnet. Wang: Bring unsern Lederpalankin ins Trockne! Messner hinaus. Seit der Glauben aus dem Volks gewichen ist, haben wir hintereinander zuerst Lammfleisch, dann Maisfladen und bis heute noch Reis gegessen. Jetzt ist unsere letzte Einnahme gestohlen, von heute an können wir nur mehr unsern Lederpalankin aufessen. Und jetzt regnet es auch noch durch diese scheußlichen Schusslöcher auf meinen Kopf. Ich werde diese elende Pagode verkaufen und das Schafskäsegeschäft dafür eintauschen. Messner schleift Palankin herein. Das ist nun dieser Palankin. Stöhnen von innen. Was ist das? Es wäre auf jeden Fall gut, wenn man in ihn hereinsähe. Du undeutlicher Sohn eines Nashorns und eines Tabakbeutels! Es ist selbstverständlich nur eine Ratte. Mach auf, Du Feigling! Starkes Stöhnen. Vielleicht sind es auch zwei Ratten. Messner: Ein Gott! Wang: lacht Du bist geradezu erschütternd ungebildet. Wenn ich die Pagode abstoße und zum Schafskäsegeschäft übergehe, kann ich Dich nicht mehr brauchen. Er blickt hinein. Ich dachte mir gleich, dass es ein weißer Mann sein würde, als ich den Palankin so besudelt sah. Er hat kein Geld bei sich: es ist kein Sahib. Ach, er trägt einen Soldatenrock! Er hat ein Glätzlein am Kopf, der Dieb. Sie haben ihm die Haare einfach abgeschnitten. Was machen wir mit ihm? Da er ein Soldat ist, kann er keinen Verstand haben. Nur ein weiser und sehr gebildeter Mann würde etwas mit einem solchen Dieb anfangen können, der ein von erbrochenen Getränken bedeckter Soldat seiner Königin ist, hilflo- ser als das Kind eines Huhnes, betrunken, dass er seine Mutter nicht mehr erkennen könnte. Man kann ihn der Polizei schenken. Was hilft es? Wenn das Geld weg ist, was hilft da die Gerechtigkeit? Und er kann nur grunzen. Wütend Hebe ihn heraus, Du Loch in einem Schafskäse, und stopfe ihn in den Gebetskasten, aber sieh zu, dass der Kopf oben sitzt. Wir können höchstens einen Gott aus ihm machen. Der Messner tut es. Brings Papier her. Ich gebe dieses Geschäft nicht auf, wir müssen so- fort Papierfahnen vor das Haus hängen. Ich denke nicht daran, meine Hände durch einen Schafskäseladen zu beflecken. Wir müssen sofort mit Händen und Füßen Plakate malen. Ich will das ganz groß aufmachen ohne falsche Sparsamkeit, mit Plakaten, die man nicht übersehen kann. Was hilft ein Gott, wenn er sich nicht herumspricht? Wenn das Geschäft blüht, kaufen wir noch den ge- brauchten Musikkasten, der in der Whiskybar versteigert werden soll, weil die Armee wegzieht. Warum soll man aus einem Gott nicht ebenso ein Geschäft machen können wie mit jedem anderen Artikel, der nichts kostet? Es klopft. Wer ist so spät an meiner Tür? Polly: Drei Soldaten. Wang: Ei, ei. Er lässt die Drei herein. Nehmen Sie eine Tasse schlechten Tee von Ihrem geehrten Diener, befehlen Sie dem Abschaum, Ihnen die Schuhe auszuziehen, die sicherlich nass sind. Sie setzen sich. Pause. Polly: Wir suchen einen Herrn, genauer einen Soldaten, der in einer Lederkiste, die gegenüber die- sem reichen und vornehmen Tempel gestanden hat, im Schlaf liegt. Wang: Sein Erwachen möge angenehm sein. Polly: Dieser Kasten ist nämlich verschwunden. Wang: Ich verstehe Ihre Ungeduld, die von der Ungewissheit herrührt; denn ich selber suche einige Leute, im ganzen drei, genau gesagt Soldaten, und ich kann sie nicht finden. Uria: Es wird schwer sein Ich glaube, Sie können es aufgeben. Aber wir dachten, Sie wüssten etwas über den Lederkasten. Wang: Leider nichts. Das Unangenehme ist, dass die Herren Soldaten alle die gleichen Kleider haben. Jesse: Das ist nicht unangenehm. In dem erwähnten Lederkasten sitzt zur Zeit ein Mann, der sehr krank ist. Polly: Da zudem durch seine Krankheit einige Haare ausgegangen sind, braucht er schnellste Hilfe. Uria: Sollten Sie einen solchen Mann gesehen haben? Wang: Leider nicht. Dagegen habe ich solche Haare gefunden. Allerdings hat sie ein Sergeant der Armee mitgenommen. Er wollte sie den Herrn Soldaten wiedergeben. Jip im Kasten stöhnt. Die Soldaten stehen auf. Polly: Was ist das? Wang: Das ist meine Milchkuh. Uria: Diese Milchkuh scheint schlecht zu schlafen. Polly: Dieses hier ist der Palankin , in den wir Jip hineingestopft haben. Wang: Es ist am besten, wenn ich die ganze Wahrheit sage. Wahrheit trägt ihren besten Lohn in sich. Es ist nämlich ein anderer Palankin. Polly: Er ist so voll wie ein Speikübel am dritten Weihnachtstag, Jesse, es ist klar, dass Jip in ihm war. Wang: Nicht wahr, er kann nicht darin gewesen sein. Niemand setzt sich in einen so schmutzigen Palankin. Jip im Kasten stöhnt laut auf. Uria: Wir müssen unseren vierten Mann haben. Und wenn wir dafür unsere Großmutter abschlachten müssten. Wang: Aber der Mann, den Sie suchen, ist nicht hier. Damit Sie aber sehen, dass der Mann, von dem Sie sagen, dass er hier ist und von dem ich nicht weiß, dass er hier ist, nicht Ihr Mann ist, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen an der Hand einer Zeichnung alles erkläre. Gestatten Sie Ihrem unwürdigen Diener, dass er hier mit Kreisen vier Verbrecher aufzeichnet. Einer von ihnen hat ein Gesicht, sodass man sieht, wer er ist, aber drei von ihnen haben keine Gesichter. Sie erkennt man nicht. Der nun mit dem Gesicht hat kein Geld, also ist er kein Dieb. Die mit dem Geld haben aber kein Gesicht, also erkennt man sie nicht, das ist so, solang sie nicht beiein- ander stehen. Wenn sie aber beieinander stehen, wachsen den drei Kopflosen Gesichter, und man wird bei ihnen fremdes Geld finden. Niemals also würde ich Ihnen glauben können, dass ein Mann, der hier sein könnte, Ihr Mann ist. Die drei bedrohen ihn mit Waffen, aber auf Wangs Wink hin erscheint der Messner mit bewaffneten chinesischen Tempelgästen. Jesse: Wir wollen Sie nicht länger in Ihrer Nachtruhe stören, Herr. Auch vertragen wir Ihren Tee nicht gut. Ihre Zeichnung allerdings ist sehr kunstvoll. Kommt! Wang: Es schmerzt mich, Sie aufbrechen zu sehen. Uria: Glauben Sie, dass unsern Kameraden, wo immer er auftaucht, zehn Pferde zurückhalten könn- ten, dass er zu uns zurückkommt? Wang: Zehn Pferde sind vielleicht nichts, ihn zu halten, aber der kleine Teil eines Pferdes, wer weiß? Uria: Wenn der Whisky aus seinem Kopf ist, kommt er. Die Drei gehen unter großen Verbeugungen ab. Wang: Wenn der alte Whisky getrunken ist, wird vielleicht der neue getrunken werden. Jip: im Kasten Halloh! Wang macht seine Gäste aufmerksam auf seinen Gott.
VII. Kantine. Spät in der Nacht. Galy Gay sitzt auf einem Holzstuhl und schläft. Die drei Soldaten erscheinen im Fenster. Polly: Da sitzt er noch. Uria: Vielleicht wollte er nicht weggehen, weil es regnete. Jesse: Das weiß man nicht. Aber jetzt werden wir ihn brauchen. Polly: Meint Ihr, dass Jip wiederkommt? Jesse: Uria, ich weiß es, Jip kommt nicht wieder. Polly: Es ist kaum möglich, es diesem Packer noch einmal zu sagen. Jesse: Was meinst Du, Uria? Uria: Ich weiß, dass ich mich jetzt in die Klappe lege. Polly: Aber wenn dieser Packer jetzt aufsteht und zur Tür hinausgeht, dann hängen unsere Köpfe nur mehr an einem Stückchen Haut. Jesse: Sicher. Aber ich lege mich jetzt auch hin, man kann nicht zu viel von einem Mann verlangen. Polly: Es ist vielleicht wirklich das Beste, wenn wir alle in die Klappe gehen. Es ist zu niederdrückend und an allem ist wirklich nur der Regen schuld. VIII. Inneres der Gelbherrpagode. Überall große Plakate. Die Geräusche eines alten Grammophons und einer Trommel. Hinten schei- nen sich größere religiöse Zeremonien abzuspielen. Wang: geht an den Gebetskasten heran. Zu Mah Sing Drehe die Kugeln aus Kamel-Dung rascher, Du Mist! Am Kasten Schläft er noch, Herr Soldat? Jips Stimme: Steigen wir bald aus, Jesse? Dieser wackelt so schauderhaft und ist so eng wie ein Wasserklosett. Wang: Herr Soldat, glaube nicht, Du seist in einem Eisenbahnwagen. Es ist einzig der Whisky in Deinem ehrenwerten Kopf, der schaukelt. Jip: Unsinn! Was ist das für eine Stimme in diesem Grammophon? Kann das nicht aufhören? Wang: Komm heraus, Herr Soldat, iss ein Stück Fleisch von einer Kuh! Jip: Kann ich ein Stück Fleisch haben, Polly? Haut gegen den Kasten. Wang: läuft nach hinten Ruhe, Ihr Elenden! Fünf Tais verlangt der Gott, den Ihr an das Brett des hei- ligen Gebetskastens klopfen hört. Es widerfährt Euch Gnade! Sammle ein, Mah Sing! Jip: Uria, Uria, wo bin ich? Wang: Klopf noch ein wenig, Herr Soldat, auf die andere Seite, Herr General, mit den beiden Füßen in heftiger Weise. Jip: Hallo, was ist das? Wo bin ich da? Wo seid Ihre? Uria, Jesse, Polly! Wang: Dein niedriger Diener begehrt zu wissen, was Du an Speise und scharfen Getränken be- fiehlst, Herr Soldat. Jip: Hallo, wer ist das? Wang: mit einer Stimme wie eine fette Ratte Die mäßig fette Ratte ist Dein Freund Wang aus Tsientsin, Colonel. Jip: Was ist das für eine Stadt, in der ich bin? Wang: Eine elende Stadt, hoher Gönner, ein Nest namens Kilkoa. Jip: Lass mich heraus! Wang: nach hinten Wenn Du den Kameldung zu Kugeln gedreht hast, dann ordne sie auf einer Schale, schlage die Trommel und zünde sie an. Zu Jip Sofort, wenn Du versprichst, dass Du nicht fortläufst, Herr Soldat. Jip: Mach auf, Du Stimme einer Bisamratte, mach auf, hörst Du! Wang: Halt! Halt, Ihr Gläubigen! Bleibt stehen, nur eine Minute! Der Gott redet zu Euch mit drei Donnerschlägen. Zählt die Schläge genau! Es sind vier, nein fünf. Es sind fünf Taels, die Ihr opfern sollt. Klopft an den Gebetskasten. Freundlich Herr Soldat, hier ist ein Beefsteak für Deinen Mund. Jip: Oh, jetzt merke ich es, meine Eingeweide sind ganz zerfressen! Ich muss reinen Sprit in sie ge- gossen haben. Oh, es ist möglich, das ich zu viel getrunken habe, und jetzt muss ich ebenso viel essen. Wang: Eine ganze Kuh darfst Du essen, Herr Soldat, und ein Beefsteak steht schon zubereitet. Aber ich fürchte, Du wirst fortlaufen, Herr Soldat. Versprichst Du mir, dass Du nicht fortläufst? Jip: Aber ich will es zuerst sehen. Wang lässt ihn heraus. Jip: Wie bin ich denn hierhergekommen? Wang: Durch die Luft, Herr General. Du bist durch die Luft gekommen. Jip: Wo war ich denn, wie Du mich gefunden hast? Wang: Du hast geruht, in meinem Palankin zu wohnen, Erhabener. Jip: Und wo sind meine Kameraden? Wo ist das achte Regiment? Wo ist die Maschinengewehrabteilung? Wo sind zwölf Eisenbahnzüge und vier Elefantenparks? Wo ist die ganze englische Armee? Wo sind alle hin, Du gelber grinsender Spucknapf? Wang: Fortgezogen über die Pandschabberge im vorigen Monat. Aber hier ist das Beefsteak. Jip: Was! Und ich? Wo war ich? Was habe ich getan, während sie marschierten? Wang: Whisky, viel Whisky, tausend Flaschen und auch Geld verdient. Jip: Haben nicht einige nach mir gefragt? Wang: Leider nein. Jip: Das ist unangenehm. Wang: Wenn sie nun aber kommen und suchen nach einem Mann im Rock der weißen Soldaten, soll ich Sie dann zu Dir führen, Herr Minister des Kriegs? Jip: Das ist nicht nötig. Wang: Willst Du nicht gestört sein, Johnny, so steige in diesem Kasten, Johnny, wenn die Leute kommen, die Dein Auge beleidigen. Jip: Wo ist das Beefsteak? Setzt sich und isst Es ist zu klein! Was ist das für ein scheußliches Geräusch? Unter Getrommel steigt der Rauch der Kameldungkugeln zur Decke. Wang: Das ist das Gebet der Gläubigen, welche hier hinten knien. Jip: Es ist aus einem harten Teil der Kuh. Zu wem beten sie? Wang: Das ist ihr Geheimnis. Jip: Gut. Das ist ein gutes Beefsteak, aber es ist falsch, dass ich hier sitze. Sicher haben Polly und Jesse auf mich gewartet. Vielleicht warten sie jetzt noch. Es schmeckt wie Butter. Es ist schlecht von mir, es zu essen. Horch, jetzt sagt Polly zu Jesse: Jip kommt bestimmt. Wenn er nüchtern ist, kommt Jip. Uria wird vielleicht nicht so stark warten, weil Uria eben ein schlechter Mensch ist, aber Polly und Jesse werden sagen: Jip kommt. Das ist keine Frage, es ist ein passendes Essen für mich nach all den Getränken. Wenn nur Jesse nicht so fest an seinen Jip glauben würde, aber er sagt sicher: Jip verrät uns nicht, und das ist natürlich schwer zu ertragen für mich. Es ist ganz verkehrt, dass ich hier sitze, aber es ist ein gutes Fleisch.
IX. Kantine. Am frühen Morgen Galy Gay schaut schläfrig den Dreien zu, die Billard spielen. Polly: Jip kommt. Jesse: Jip verrät uns nicht. Polly: Wenn er nüchtern ist, kommt Jip. Uria: Das weiß man nicht. Jedenfalls lassen wir diesen Packer nicht aus der Hand, solang Jip noch auf dem Dach liegt. Kake: Er ist nicht weggegangen. Polly: Es muss ihn stark frieren. Er hat auf dem Holzstuhl übernachtet. Uria: Wir jedenfalls haben ausgeschlafen heute Nacht und sind wieder auf der Höhe. Polly: Bitte ihn jetzt nur ja nicht zu dringend, dass er da bleibt. Jesse: Oh, er bleibt länger da, als wir wollen. Das scheint kein Mann zu sein, der heimgeht, wenn man es ihm nicht ausdrücklich sagt. Galy Gay: Ich möchte heimgehen. Uria: Gefällt es Ihnen nicht mehr? Galy Gay: Doch, aber ich habe eine Frau zuhause. Uria: Mit einem Mal? Galy Gay: Nein, nicht mit einem Mal. Polly: Sagen Sie selbst, haben wir Sie schlecht behandelt? Galy Gay: Nein. Polly: Wir müssen Ihnen auf die Zehen getreten sein. In Ihrem Gesicht steht geschrieben: man ist mir auf die Zehen getreten. Bitte glauben Sie: Wir sind Ihnen sicher ohne schlechte Absicht auf die Zehen getreten. Uria: Brauchen Sie einen andern Brotbeutel? Galy Gay: Wein! Geht zur Tür Gebt mir jetzt meine Kleider zurück! Uria: macht eine Serie Sie geben uns also durch die Blume verstehen, dass Sie unser Geschwätz satt haben. Sprechen Sie es ruhig aus. Wir stochern uns mit dem Messer zu viel in den Zähnen? Wir verstehen, mein Herr, was Winke mit dem Zaunpfahl sind! Galy Gay: Wenn Sie das so auffassen, dann muss ich Sie natürlich bitten, meine Kleider weiter zu verwahren. Setzt sich und schläft bald ein. Jesse: Diese unnatürliche Lahmarschigkeit fängt an, mir wirklich zum Hals herauszuhängen. Polly: Schmeißen wir ihn hinaus! Uria: Damit wir wieder ohne vierten Mann dasitzen? Polly: Aber Jip wird kommen, mit meinem ausgeschlafenen gesunden Armeeverstand sehe ich das doch ganz klar. Dieser gelbe Ochsenfrosch hat uns in unsere eigene Müdigkeit eingewickelt. Wenn Jips Whisky aus ist, kommt Jip. Eintritt Herr Wang. Geht zum Bartisch und schellt. Witwe Begbick kommt. Leokadja: Ich schenke nichts aus an Nigger, auch nicht an Gelbe. Wang: Für einen Weißen: Sieben Flaschen guten alten Old-Victoria-Tom Whisky. Leokadja: Für einen Weißen sieben Flaschen Old Victoria-Tom Whisky? Gibt ihm sieben Flaschen. Wang: Ja, für einen Weißen! Ab mit einer Verbeugung gegen die Vier. Jesse, Polly und Uria sehen sich an. Uria: Sieben Flaschen Old Victoria Tom Whisky? Jetzt kommt Jip überhaupt nicht mehr. Jetzt muss also dieser Packer aus Kilkoa mit Haut und Haar zu Jeraiah Jip werden, unserem Kameraden. Polly: Aber wie soll das denn gehen, Uria? Wir haben nichts als seine alten Kleider und Jips Pass. Jesse: Das genügt. Das muss einen neuen Jip geben. Polly: Ich würde es Euch nicht raten. An eine solche Angelegenheit soll man nicht ohne Gemüt her- angehen. Auch das Krokodil weint. Jesse: Man macht zuviel Aufhebens mit Leuten. Über weniger als 200 zusammen kann man gar nichts sagen. Eine andere Meinung kann natürlich jeder haben. Eine Meinung ist ganz gleichgültig. Ein ruhiger Mann kann ruhig noch zwei oder drei andre übernehmen. Mich kann man am Arsch le- cken mit den Charakterköpfen. Polly: Was wird er aber sagen, wenn wir ihn in den Soldaten Jeraiah Jip verwandeln? Uria: Nein wird er nicht sagen. Nein sagen, das kann er nicht. Jesse: So einer verwandelt sich ganz von selber. Galy Gay: öffnet die Augen Galy Gay, es sind Gesichter um Dich wie Schicksalsgesichter. Galy Gay, wenn Du jetzt einschläfst, machen sie Dir etwas. Polly: Seht, wie er blinzelt mit seinen Galygayaugen. Uria: Der ist leicht umzuarbeiten. Polly: Lieber Herr, es trifft sich gut, dass Sie nicht weggegangen sind. Es sind Umstände eingetreten, die unseren Kameraden Jip gehindert haben, hier pünktlich zu erscheinen. Uria: Sind Sie irischer Herkunft? Galy Gay: Ich glaube, ja. Uria: Das ist vorteilhaft. Sie sind doch hoffentlich nicht älter als vierzig Jahre, Herr Galy Gay? Galy Gay: So alt bin ich nicht. Uria: Das ist glänzend. Haben Sie vielleicht Plattfüße? Galy Gay: Ein wenig. Uria: Das ist ausschlaggebend. Ihr Glück ist gemacht. Sie können vorläufig hier bleiben. Galy Gay: Leider erwartet mich meine Frau wegen eines Fisches. Polly: Wir verstehen Ihr Bedenken, Sie sind ehrenwert und eines irischen Mannes würdig. Aber Ihre Erscheinung gefällt uns, und was mehr wert ist, sie passt. Es ist vielleicht die Möglichkeit vorhanden, dass Sie Soldat werden können. Galy Gay: schweigt. Polly: Das Leben der Soldaten ist sehr angenehm. Wir bekommen jede Woche eines Handvoll har- tes Geld ausgezahlt, einzig und allein dafür, dass wir durch ganz Indien stiefeln und uns diese Straßen und Pagoden besehen. Belieben Sie dabei die komfortablen Schlafsäcke aus Leder zu be- trachten, die der Soldat umsonst geliefert bekommt, werfen Sie einen Blick auf dieses Gewehr mit dem Stempel der Firma Everett & Co. Hauptsächlich fischen wir zu unserer Unterhaltung, wozu die Mama, wie wir die Armee im Scherz getauft haben, die Angelgeräte für uns kauft, und wobei einige Militärkapellen abwechselnd für uns spielen. Den Rest des Tages rauchen Sie in Ihrem Bungalow oder betrachten lässig den goldenen Palast eines dieser Radschas, den Sie, falls es Ihnen belieben sollte, auch erschießen können. Die Damen erwarten von uns Soldaten sehr viel, aber niemals Geld, und Sie werden zugeben, dass das eine Annehmlichkeit ist. Galy Gay: Ich sehe, dass das Leben der Soldaten ein angenehmes ist. Uria: Sicher. Sie behalten also ohne weiteres Ihren Soldatenrock mit den hübschen Messingknöpfen und haben ein Recht darauf, dass man Sie jederzeit Herr, Herr Jip anspricht. Galy Gay: Sie werden einen armen Packer nicht unglücklich machen wollen. Uria: Sie wollen also gehen? Galy Gay: Jetzt gehe ich also. Jesse: Polly, hol ihm die Kleider. Polly: mit den Kleidern Warum wollen Sie eigentlich nicht Jip sein? Galy Gay: Weil ich Galy Gay bin und Schlaf habe und heimgehen. Geht zur Tür. Die Drei schauen sich an. Uria: Warten Sie noch einen Augenblick. Polly: Kennen Sie vielleicht den Satz: Eile mit Weile? Uria: Sie haben es hier mit Männern zu tun, die nicht gern etwas von fremden Leuten geschenkt haben wollen. Jesse: Wie immer Sie heißen mögen, Sie wollen für Ihre Gefälligkeit etwas gehabt haben. Uria: Es handelt sich – bleiben sie ruhig mit dem Türgriff in der Hand – um ein Geschäft. Jesse: Dieses Geschäft ist das beste, was in Kilkoa zu machen ist, nicht wahr, Polly? Uria: Du weißt doch, wenn wir das da draußen erwischen würden. Es muss natürlich dunkler sein. Es ist unsere Pflicht, es Ihnen anzubieten, sich an diesem horrenden Geschäft zu beteiligen. Galy Gay: Geschäft? Sagten Sie eben Geschäft? Uria: Möglich. Aber Sie haben ja keine Zeit. Galy Gay: Zeit haben und Zeit haben, das ist nicht immer dasselbe. Uria: Ah, Zeit hätten Sie schon. Wenn Sie dieses Geschäft kennen würden, so hätten Sie schon Zeit. Lord Kitchener hatte auch Zeit, Ägypten zu erobern. Galy Gay: Das glaube ich. Ist es also ein großes Geschäft? Polly: Für den Maharadscha von Petschwar wäre es vielleicht eines. Für einen so großen Mann wie Sie mag es vielleicht ein kleines sein. Galy Gay: Ich kann natürlich immer noch umkehren. Ich gehe dann einfach heim. Polly: Er ist der reinste Elefant. Galy Gay: Elefant? Ein Elefant, das ist selbstverständlich eine Goldgrube. Wenn Sie einen Elefanten haben, da verrecken Sie nicht im Spital. Uria: Und ob wir einen Elefanten haben! Galy Gay: Wäre der Elefant so, dass man ihn gleich an der Hand hätte? Polly: Ein Elefant! Darauf ist er scheint‘s ganz scharf. Galy Gay: Sie haben also einen Elefanten an der Hand? Polly: Hat man schon jemals gehört, dass man ein Geschäft gemacht hat mit einem Elefanten, den man nicht an der Hand hat? Galy Gay: Und wäre dann von meiner Seite irgend etwas nötig? Polly: Nötig wäre von Ihrer Seite … Galy Gay: Ich bin sicher, die Herren wissen, dass ein einfacher Packer vom Hafen Kilkoa keine Unsummen auf der Bank von England liegen hat. Polly: Geld wäre von Ihrer Seite nicht nötig. Uria: Nötig wäre von Ihrer Seite: rote Haare. Galy Gay: Rote Haare. Ist das nicht etwas ungewöhnlich? Ein Elefant ist allerdings auch eine Abnormität. Die drei stürzen sich auf ihn und färben ihm die Haare rot. Uria: Es ist wegen des Teufels von Kilkoa! Polly: kommt mit dem Farbtopf Lass Dir also Deine Haare färben, Kamerad Galy Gay. Ziehe diese Kleider an. Galy Gay: Was ist das, der Teufel von Kilkoa? Polly: Sprechen Sie leiser! Sie sprechen den Namen des Tigers von Nepal, des Blody Five, unseres Sergeanten. Galy Gay: Was tut er, dass er so heißt? Polly: Oh nichts. Mitunter legt er einen Widerspenstigen oder einen Schwindler, denn es gibt Leute, die sogar beim Appell den falschen Namen ganz laut schreien, in ein Segeltuch vom zwei Meter im Quadrat, unter die Elefanten. Galy Gay: Hat der Kamerad Jeraiah Jip rote Haare? Uria: Sie haben einen ungeheuer großen Kopf, Kamerad. Polly: Da steckt was drin. Galy Gay: Nicht der Rede wert. Ich wüsste Ihnen allerdings ein kleines Rätsel, das sie als gebildete Männer vielleicht interessiert. Jesse: Sie sehen allerdings starke Rätselrater um sich. Galy Gay: Es heißt so: Es ist weiß, ist ein Säugetier und sieht hinten so gut wie vorn. Jesse: Das ist schwer. Galy Gay: Dieses Rätsel können Sie überhaupt nicht herausbringen –. Dieses Rätsel habe ich auch nicht herausgebracht. Ein Säugetier, sieht hinten so gut wie vorn. Das ist doch ein blinder Schimmel. Uria: Dies Rätsel ist ungeheuer. Polly: Behalten Sie das alles einfach in Ihrem Kopf? Galy Gay: Meistens, da ich sehr schwer schreiben kann. Bin ich jetzt fertig? Blody Five: herein Ein Augenblickchen! Es ist eine Frau draußen, die einen Mann namens Galy Gay sucht. Galy Gay: Galy Gay? Der Mann heißt Galy Gay, den sie sucht. Blody Five: Treten Sie ein, Miss Gray, hier ist ein Mann, der Ihren Mann kennt. Man würde also alles tun, Sie zu unterstützten. Uria: O ja, der Sergeant! Frau Galy Gay: Entschuldigen Sie eine niedrige Person, meine Herren, auch meinen Aufzug, ich war sehr in Eile. Ach, da bist Du ja, Galy Gay, aber bist Du es wirklich in dem Soldatenrock? Galy Gay: Nein. Frau Galy Gay: Ich verstehe Dich nicht. Wie bist Du in den Soldatenrock gekommen? Du siehst gut aus in ihm, das würden Dir alle Leute sagen. Du bist ein eigentümlicher Mann, Galy Gay. Uria: Bleibt ganz ruhig, aber holt Stricke herbei. Sie ist im Kopf nicht in Ordnung. Frau Galy Gay: Es ist nicht leicht, einen solchen Mann zu haben, der nicht nein sagen kann. Würden Sie es glauben, dass er, der so groß und dick aussieht, innerlich ist wie ein rohes Ei. Uria: Ich möchte wissen, mit wem sie spricht. Es sind sicherlich Beschimpfungen. Blody Five: Ich glaube, dass Miss Gray ganz klar im Kopfe ist. Bitte, sprechen Sie weiter, Miss Gray. Ich höre Ihre Stimme lieber als die irgendeiner Sängerin. Frau Galy Gay: Ich weiß nicht, was Du wieder treibst in Deiner Großspurigkeit, aber Du wirst noch schlimm enden. Komm jetzt mit! Aber rede doch etwas! Bist Du heißer? Galy Gay: Ich glaube, Du sprichst das alles zu mir her. Ich sage Dir, Du verwechselst mich mit einem anderen, und was Du über den da daher redest, ist dumm und schickt sich nicht. Frau Galy Gay: Was sagst Du? Ich verwechsele Dich! Hast Du getrunken? Das verträgt er nämlich nicht. Galy Gay: Ich bin so wenig Dein Galy Gay, wie ich hier der Kommandant dieses Camp bin. Frau Galy Gay: Ich habe das Wasser im Topf gestern um diese Zeit auf das Feuer gesetzt, aber den Fisch hast Du nicht gebracht. Galy Gay: Was soll das jetzt wieder für ein Fisch sein? Du redest als ob Du keinen Verstand hättest vor diesen Herren hier. Blody Five: Das ist ein merkwürdiger Fall. Und es kommen mir dabei so fürchterliche Gedanken, dass ich fast zu Eis erstarre. Kennst Ihr diese Frau? Die Drei schütteln mit dem Kopf. Und Sie? Galy Gay: Ich habe schon viel gesehen in meinem Leben, von Irland bis Kilkoa, aber diese Frau habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Blody Five: Sagen Sie dieser Frau, wie Sie heißen. Galy Gay: Jeraiah Jip. Frau Galy Gay: Das ist ungeheuer! Freilich, wenn ich ihn anschaue, Sergeant, ist es mir fast, als sei er etwas anders als mein Mann Galy Gay, der Packer, etwas anders, obgleich ich nicht sagen könnte, was es ist. Verwirrt ab mit Blody Five. Blody Five: Wollen Sie jetzt vielleicht meine Fotographien in Augenschein nehmen? Ich bin sicher, es würde Sie ungemein beruhigen. Frau Galy Gay: Jetzt ist es ein ganzer Tag, seit er fortging, einen Fisch zu kaufen. Galy Gay: geht strahlend auf Kake zu Ja. Man sagt den Galy Gay in ganz Irland nach, dass sie über- all einen Nagel einzuschlagen wissen. Uria: zu Polly Vor der Mond heute nach über dem Gummibaum vor der Kantine steht, muss der Mann ein anderer Mann sein. Polly: Wird das wirklich gehen, Uria, einen Mann in einen andern Mann zu verwandeln? Uria: Ja. Ein Mann ist wie der andere. Mann ist Mann. Galy Gay hat sich in einen Schaukelstuhl gesetzt, spielt mit einem Bajonett und lächelt die Drei an.
Das Drama der menschlichen Kampfmaschine 1925 Im Folgenden publizieren wir die Urfassung des Stücks Mann ist Mann von „Bertolt Brecht“, wie sie durch ein Typoskript fremder Hand von 1925 überliefert ist. Der zuständige Suhrkamp Verlag sowie die Brecht-Erben halten diese Fassung für unecht. Da es sich jedoch um eine lite- rarische Sensation handelt, die Anspruch auf Öffentlichkeit hat, publizieren wir sie zur Begutachtung durch die geneigten Leserinnen mit der Bitte, sich von der Unechtheit zu über- zeugen und gegebenenfalls auf einen Skandal insgeheimer Zensur aufmerksam zu machen. Das Stück handelt davon, wie der einfache irische Packer Galy Gay, den der britische Imperialismus nach Kilkoa/Indien geschwemmt hat, von seinen „Kameraden“ der Besatzungsarmee in eine Kampfmaschine ummontiert wird. Er verliert seine Persönlichkeit. – Im exotischen Milieu zeigt das „Lustmordspiel“ mit Jazzmusik den (noch friedlichen) Kampf des englischen Öl-Monopols (Royal Dutch Shell) mit der auf den europäischen Markt drängenden Standard Oil aus den USA, konzentriert auf den Schauplatz eines Militärcamps. Indien liefert den Rohstoff OIL, den die imperialitischen Firmen auf Kosten der Bevölkerung und ihrer Tradition ausbeuten. Öl ist in unabsehbaren Massen notwendig geworden, damit die Industrialisierung in Europa am Laufen gehalten werden kann, insbe- sondere die Mobilität des Verkehrs. – Galy Gay steht für den Arbeiter; die englische Kolonialarmee steht für die Apparatur des Fließbands, an der der Arbeiter sowohl seine Identität wie auch seinen Geist verliert und beliebig manipulierbar wird. – Nachdem der Mensch in den Schlachten des 1. Weltkriegs als Material verheizt wurde, verwandelt er sich nun selbst in Material und kann sich so ein- bilden, am allgemeinen Schlachten aktiv teilzunehmen: „Soldaten wohnen / auf den Kanonen“ (BB 1925; Herbst). In Wirklichkeit möchte er nur heim zu seiner untreuen Molly, aber: „It’s a long Way to Tipperary“.
AUSRADIERTZENSIERT „Mann ist Mann“ 02
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