Paulsen, der selbst für einen Schauspieler überaus eitel war, wollte für seinen ersten Auftritt als Mackie Messer auch vom Text her besonders effektvoll vorbereitet haben. Er wünschte sich einen Song, in dem einzig und allein von ihm die Rede sein sollte, als Entrée. Darin sollte möglichst auch die himmelblaue Krawatte vorkommen, die er sich umzubinden gedachte. Brecht hörte ihm mürrisch zu und sagte kein Wort. Aber schon am nächsten Tag brachte er die Strophen der Moritat vom Mackie Messer mit und gab sie Weill zur Vertonung. […] Weill schrieb nicht nur über Nacht die Melodie dazu, er machte auch sofort den Drehorgelmann ausfindig, der die Handorgel für die Aufführung stellen konnte. Der Mann hieß Bacigalupo.


Lotte Lenya: Das waren Zeiten! In: Brechts „Dreigroschenoper“. Hg. von Werner Hecht.

Frankfurt a.M. 1985, S. 120; zuerst 1955.

Die Dynastie der Bacigalupos im Hof der Fabrik: Beispiel für eine echte Berliner Großfamilie.

dass das ein Erfolg werden kann. Dann gab es auch noch so viele Hindernisse: Der Harald Paulsen, der die Hauptrolle spielte, der hat dann im letzten Moment, zwei Tage vor der Premiere, sich beklagt, dass er erst in der zweiten Szene drankam, und so entstand die Moritat. Er wollte unbedingt also einen Song haben, wo er eingeführt wird.“


(Eva Pfister: Deutschlandfunk, 31.08.2018; 19:05 Uhr: „So schrieb Brecht über Nacht die Moritat von Mackie Messer, Kurt Weill vertonte sie.“)


D i e  R e a l i t ä t -

Ort: Berlin, Schönhauser Allee 74a (Firma Bacigalupo-Söhne) Zeit: Ende Juli 1928

„Kurt Weil [sic] und Bert Brecht sind mit einem Notenblatt in die Werkstatt Bacigalupos gekommen und baten den Meister, die Melodie einer Moritat auf eine Walze zu setzen. Bacigalupo meinte, dass für diese Musik eine grosse, chromatische Orgel nötig sei, die der Schauspieler nicht tragen kann. Brecht stellte sich eine Umhängeorgel vor. Bacigalupo schlug vor, die Musik auf einen Tonumfang von 26 Tönen zu reduzieren, er werde es versuchen. Später spielte er die abgeänderte Moritat Brecht und Weil [sic] vor und die Komposition wurde akzeptiert.“ Carmen Böhm,

Tochter von Giovanni Bacigalupo (1911-1996), nach:


Schweizerischer Verein für Freunde Mechanischer Musik. SFMM-Information No. 91, 2004, S. 4.


"Soviel halbe Töne hab ick jar nischt druff uff det Drehorjelklavier, wenn se det een bisschen ändern, will ick det jern für Sie uff de Walze bringen"


Giovanni genannt Hannes Bacigalupo, Drehorgelbauer und Musikzeichner,

nach Begutachtung von Weills Partitur.

Ein Enkel von Hannes Bacigalupo vor dem Hofeingang Schönhauser Allee (Prenzlauer Berg); um 1965 mit Trabbis


Lotte Lenya:  „Zunächst mal hat  niemand daran geglaubt, Brecht-Weill: Mäckie Messer (3 Groschenoper); Arrangement für Drehorgel von Hannes Bacigalupo (Handschrift)

Gedenktafel am Haus Schönhauser Allee 74a; Quelle: von OTFW, Berlin – Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0,

 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23467766


„Der Mackie Messer Song ist als einziges Musikstück der gesamten Musik zur Dreigroschenoper dank einer geschickten Harmonisierung auf praktisch jeder Drehorgel wiederzugeben. Es scheint, dass der Komponist Kurt Weill für diese Moritat tatsächlich die beschränkten musikalischen Möglichkeiten der traditionellen Drehorgeln (nur wenige Tonarten, Grundbässe, Halbtöne) berücksichtigt hat! Auch lange nach dem großen Erfolg der Dreigroschenoper – bis in die 1970er Jahre – wurde diese Moritat noch auf unzählige Drehorgelwalzen gebracht und wurde zu einem echten >Drehorgel-Evergreen<.“ (Raphael Lüthi, >Drehorgel Schweiz<, Waldkirch i.Br., an JK 2018: www.fineartrestorations.de)
















Das Original der Orgel von der Uraufführung der „Dreigroschenoper“ vom 31. August 1928 befindet sich heute im Elztalmuseum von Waldkirch (BW) als Leihgabe von Stefan Fleck:


Caspar Neher: Entwürfe für den Zwischenvorhang mit Szenen aus der „Moritat von Mackie Messer“, entstanden 1928. Ein ähnlicher Vorhang – siehe unten die Längenangabe – wurde in der Uraufführung der „Dreigroschenoper“ als Prospekt für die Hochzeitsszene verwendet. Interessant ist, dass Neher den „toten Mann am Strand“ offenbar als Leiche am Strand (Ufer) gedeutet hat; wohingegen „Strand“ eine der Hauptgeschäftsstraßen von London war und in Brechts Text auch diese Straße bezeichnet sollte.

(Dieser Entwurf dokumentiert, dass die Moritat nicht „über Nacht“ entstanden sein kann, wenn Neher die Zeit hatte, zu ihr einen Bühnenprospekt zu entwerfen. Ob er ausgeführt oder sogar benutzt wurde, ist nicht bekannt. – Bei Nehers Zeichnung handelt es sich um einen Original-Entwurf auf Papier aus dem Nachlass von Dr. Jürgen Stein, Wien. Jürgen Stein hat Jan Knopf die Exklusivrechte für die Publikation von Nehers bisher unbekannten Werken übertragen. Fortsetzungen folgen.)


Die Bühne ist sowohl waagerecht wie senkrecht zweigeteilt. Den Hintergrund bildet die Orgelattrappe. Sie ist als Haifischgebiss stilisiert. Die sieben Musiker der Lewis Ruth Band sitzen oder stehen davor bzw. oben in der Attrappe. An einem Zug konnte der Bühnenprospekt, für den Neher die Entwürfe anfertigte, vor dem Orchester heruntergelassen werden. Er begrenzt die Szene, wenn keine Musik spielt. Davor befinden sich noch die Querzüge (Schnüre; s. Ausschnitt 2)) für die „Neher-Gardine“. Sie wurde für die Umbauten bzw. für den Vortrag der Moritat mit Leierkasten über die gesamte Bühne gezogen, ließ aber, weil sie nur halbhoch war, den Blick auf gesamte Bühne frei.


Zur Zusammenarbeit von Kurt Weill und Bertolt Brecht, dem Volkssänger im Zeitalter des Wolkenkratzers, schrieb Eberhard Preußner, maßgeblicher Musikkritiker der Zeit, 1927:


Das Enfant terrible des Musikfestes [Kammermusik Baden-Baden 1927] war entschieden das Songspiel „Mahagonny“, durch das sich Bert Brecht und Kurt Weill lebhaft zum Worte meldeten. Wie stets bei den vorlauten Kindern der Muse versteckte sich hiner dem allgemeinen Kopfschütteln und der Mißbilligung der leidtragenden Angehörigen alias Publikum nur die grenzenlose Verwunderung über die Nacktheit solcher offenen Aussprache. Bert Brecht, zeitgemäßer Dichter, Sänger von Balladen, Songs und Dramen, die bereits zur Hälfte musikalisch sind, hat diese Mahagonny-Gesänge seinem Gedichtband „Die Hauspostille“* entnommen. Brecht muß den Musiker besonders anregen und fesseln. Er ist ein Volkssänger im Zeitalter des Wolkenkratzers, der eben nur das Pech hat, kein aufnahmefähiges Volk oder Publikum hinter sich zu haben. Denn sonst wäre manches von Brechts Gesängen, sicher aber seine Legende vom toten Soldaten** längst Allgemeingut des Volkes. […]. Daß ein Komponist auf die Texte Brechts stoßen mußte, war vorauszusehen. Kurt Weill, zeitgemäßer Musiker, Schöpfer von bühnenwirksamen Opern, aufnahmebereit für die Ideenwelt der Dichter, ist der glückliche Finder. Was Brecht erfand, deutet er klanglich mit großem Geschick aus; das eigentlich Schöpferische liegt in diesem Fall aber beim Dichter, nicht beim Musiker.

*Erschien 1927 im Propyläen-Verlag. Brecht gibt am Schluß des Gedichtbandes selbst >Gesangsnoten<“.

**Auch in der >Hauspostille< enthalten.]


Eberhard Preußner in: Die Musik, XIX/12, September 1927, S. 886.



Marta Feuchtwanger, Ehefrau von Lion Feuchtwanger,

erinnert sich:


So one day Brecht was standing on the door jamb with his guitar and singing for Weill a Bavarian melody which he heard as a child. He sang it with his shrill voice and... I remember, it was after I was in America and I brought some records back there with jazz. That was just new then. jazz, and it was not known in Germany, and it made a big impression on Kurt Weill, who was very much influenced by jazz. And Kurt Weill was sitting at the upright piano and accompanying, improvising for Brecht for this song which was “Mackie Messer”.

Interviewer: That's based on a Bavarian folk song?

MARTA FEUCHTWANGER: Yes, I heard it before, but it was changed because Weill jazzed it up. Brecht sang that, and that became then “Mackie Messer”

.

(Quelle: Marta Feuchtwanger 1976 über den jungen BB. An émigré life oral history transcript: München, Berlin, Sanary, Pacific Palisades. Interviewed by Lawrence M. Weschler, University of California Los Angeles 1976.)


Die Bühne der Uraufführung  am 31. August 1928

Im Vordergrund die Neher-Gardine; darüber zwei Musiker der Lewis Ruth Band in der Orgenattrappe; rechts und links die Projektionstafeln für die Zwischentexte.

Caspar Nehers Entwurf zum Prospekt für die Moritat, 1928:


Eberhard Preußner Das Innere des Leierkastens mit den drei Walzen für die Songs der 3Groschenoper Zur Liste  (mit Youtube-Links)  der veröffentlichten Versionen von Mackie Messer (Mack the Knife) Über Brecht Bereits erschienene Beiträge in Brechtiana Aktuell   Brecht Archiv   Theater&Film   Knopf über Brecht   Brechtiana   EXTRA   Auf einen Blick   Impressum