9. Februar 1978: Werner Hecht, BBS und Erich Honecker (+ Bodygards im Hintergrund) im Hof des neuen Brecht-Hauses, Berlin, Chausseestraße 125


Das BBA wurde gerüstet mit einem Instrumentarium (Drucker, Kopiergeräte, Laptops), das in der kulturellen Landschaft der DDR einzigartig war, verpflichtet, den West-Herausgebern und ihren Mitarbeitern zu den vereinbarten Zeiten (im Jahr mindestens drei Monate) zur Verfügung zu stehen und aktiv zu helfen. Zudem hatten wir >freies Geleit< über die Grenze hinweg und erhielten fast ungehinderte Bewegungsfreiheit nicht nur in der »Hauptstadt«, sondern in der ganzen DDR, was gegen alle gültigen Gesetze im »Arbeiter- und Bauernstaat« verstieß und nicht wenige Grenzwächter vor unserem Angesicht in die Verzweiflung trieb. Wir waren unantastbar wie Diplomaten.


Zwischen 1985 und 1989 gehörten wir Westler, in Hotels der Hauptstadt wohnend, wie selbstverständlich zum »Kader-Kollektiv GBA«, was niemand für möglich gehalten hätte. Wir gingen nicht nur im Brechthaus, sondern auch im Berliner Ensemble, im Künstlerclub Die Möwe oder im Ganymed, das uns vorkam wie ein Lokal des KGB, oder in den Theatern Ostberlins ein und aus. Werner Hecht und sein Brecht-Zentrum aber bildeten die große Mitte, den Treffpunkt aller, in dem von Erdgeschoss bis ins Dach am Projekt gearbeitet wurde und in dem alle Beteiligten regelmäßig ihre Ergebnisse in gut besuchten Veranstaltungen zunächst mündlich zur Debatte stellten, ehe sie dann in die GBA eingingen. Kein Kritiker der GBA aus der ehemaligen DDR kann guten Gewissens behaupten, er wäre vor der Wende nicht im Bilde gewesen.

































Merkwürdigerweise blieb diese Umwidmung bei den bereits absolvierten und noch anstehenden Feierlichkeiten des 40jährigen Jubiläums des Hauses in der Chausseestraße 125 sowie des 120. Geburtstags des umstrittensten Dichters der Deutschen ausgeblendet. Werner Hecht war es, der bei der DDR-Regierung mit ihrem Vorsitzenden Honecker und einem von Brecht völlig unbeleckten Minister für Kultur Hans-Joachim Hoffmann durchsetzte, dass sie das Haus, das seit 1973 unter Denkmalschutz stand, als Brecht-Haus renovieren und für die Arbeit an Brechts Werk sowie seine internationale Verbreitung einrichten ließ. Auch die »Brecht-Erben« wurden bedacht mit Räumen im Hof. Das stimmte diese so heiter, dass sie in der Person von Barbara Brecht-Schall bei der Einweihung des Baus am 9. Februar 1978 im Namen des Dichters Brecht und seiner BE-Chefin Helene Weigel warme Worte fanden:


„Ich freue mich, daß ich mich bedanken kann bei den Brigaden Korn und Beil vom VEB Baureparaturen Mitte, bei den vielen anderen Betrieben, die hier mitgeholfen haben, bei allen Leuten von Stadt und Bezirk, die mit Rat und Hilfe zur Seite standen. Vor allem aber möchte ich mich bei dem bedanken, den wir immer als obersten Bauherrn angesehen haben, dem Genossen Honecker, der dieses ganz enorme Unternehmen in Bewegung brachte, der mit seiner großen Energie alles vorantrieb. Schönsten Dank im Namen meines Vaters und meiner Mutter, und ich hoffe, daß wir, die wir jetzt die Arbeit übernehmen müssen, genauso zielbewußt, so schnell und freundlich und mit so wenigen Fehlern arbeiten wie die, die letztes Jahr hier gearbeitet haben.“


Nach den förmlichen Reden am Vorabend von Brechts 80. Geburtstags verlagerten sich die Feierlichkeiten, beschränkt auf den Kreis der VIPs, in den neuen Brecht-Keller sowie dort auf und um sein Sofa. Denn wer nahm die Plätze auf dem Sofa in Beschlag? Barbara und Erich in trauter Nachbarschaft. Gegen solch edle Hintern hatte ich natürlich keine Chance. Aber das konnte ich an jenem Tag im grauen Mond Februar des Jahres 1985 noch nicht wissen. Da Werner Hecht der Gastgeber war und es ihm als Verdienst zukommt, die deutsch-deutsche Zusammenarbeit (seit 1980) eingeleitet und so das Großprojekt überhaupt erst auf den Weg gebracht zu haben, nahm ich von da an jenen Stammsitz in Beschlag; denn ich gehörte bald auch zu den »bösen, bösen« Menschen, denen die Erbin zwar aus dem Weg ging, sie aber ganz unpersönlich und damit juristisch unangreifbar sowie gegen alle Abmachungen mit Siegfried Unseld von da an unerbittlich verfolgte.


Damals konnte ich allerdings auch noch nicht ahnen, dass nicht etwa die in der Sache ahnungslosen Polit-Bonzen, sondern die – wie und von wem auch immer programmierten – Mitarbeiter des Hauses im BBA und in den DDR-Kadern, die an der Edition mitwirkten, zielbewusst, schnell und vor allem unfreundlich alles taten, uns an der uns gewohnten Arbeit (mit so wenigen Fehlern) zu hindern. Das begann mit der verordneten Abstempelung jeder einzelnen Kopie nach gesondert vorzulegenden Auftragslisten, führte über den inhaltlichen Einspruch der Brecht-Erbin in die Gestaltung der Texte sowie in Umfang und Ausrichtung der Kommentare bis zu Fehlinformationen bei den Textgrundlagen (Erstdrucken) wie auch zur vorsätzlichen Zurückhaltung von Material, beweisbar u. a. dadurch, dass die Brecht-Erbin nach Abschluss der Edition uns unbekannte Original-Dokumente aus ihrem Besitz an die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg zu Fabel-Preisen verkaufte. Nicht zuletzt: die Stasi war immer dabei und hat unsere (auch privaten) Gespräche und Spötteleien getreulich aufgezeichnet.


Die Angelegenheit ist deshalb von öffentlichem Belang, weil Barbara Brecht-Schall nach der Wende öffentlich beteuerte, sie habe mit dem obersten Bauherrn der Republik kaum etwas zu tun gehabt, ja ihn eigentlich gar nicht gekannt. Die Sache ist jedoch vor allem von kulturellem Interesse, weil die maßgeblichen Verlage – Suhrkamp und Aufbau – den ehemaligen Nationaldichter der DDR ziemlich rumpelig wie mit ihm die GBA fallen ließen, der Aufbau-Verleger Elmar Faber in seiner Autobiografie für sein Jahrhundertprojekt mal gerade zwei Seiten übrig hatte (Verloren im Paradies!) und der Verlag, der die Rechte innehat, Suhrkamp nämlich, nach wie vor überholte und nachweislich entstellte Texte in veralteten Einzelausgaben vertreibt sowie Korrekturen der »so wenigen Fehler« nicht zulässt.



















































Ein besonders augenfälliges Beispiel ist die Hauspostille von 1927 im Suhrkamp Taschenbuch, die schon ganze Generationen von Lehrern in Verzweiflung gestürzt hat, weil sie einer Zusammenstellung von 1956 (nach Brechts Tod) folgt und ein Gedicht, das zu Brecht nicht »passt«, unterdrückt: die Abrechnung mit der Roten Armee des Genossen Lenin.


Nicht zuletzt verhindern die aktuellen Erben der Firma »Brecht-Erben«-GmbH und besagter Verlag das Erscheinen neu aufgefundener Texte von Brecht und damit auch mögliche sensationelle Uraufführungen, die so spektakulär wie Babylon Berlin sein könnten (wo die Dreigroschenoper immerhin als notwendiges Versatzstück der >Metropole im Aufruhr< erscheint), wenn man denn die Künstler ungehindert an den armen BB ließe, so, wie er es selbst einmal hielt: Aufführungen, die »kalt, plastisch und unentwegt sein müssen und wie hartschalige Früchte dem Zuhörer erst einige Zähne aushauen, wenn sie ihm ins Gebiß fallen« (O-Ton BB).


P.S.: Zehn Jahre nach der Gründung des Brecht-Zentrums erschienen die ersten Bände der GBA; sie wurden ausgiebig gefeiert, u.a. zum 90. Geburtstag von Brecht im BE und mit den Hauptakteuren der Einweihung. Bis zur Wende hing zudem im Durchgang zum Hof ein Foto, das die drei Gründer (Schall, Hecht, Honecker) groß zeigte, wie sie stolz den Hof abschritten. Es verschwand nach der Wende. – Und: Der Kultur-Minister Hoffmann widmete in seiner Ansprache am 10. Februar 1988 die neue Werkausgabe, zitierend das allbekannte Gedicht des Meisters An die Nachgeborenen und ohne mit der Wimper zu zucken, den »Neugeborenen«. Es durfte nicht gelacht werden.


Beispiel für den Versuch eines Eingriffs in die GBA durch die Brecht-Erben gegen den Vertrag mit dem Suhrkamp Verlag von 1985 (kurz nach der Wende). Die Edition, was Barbara Schall-Brecht hätte bekannt sein müssen, sah vor, die historisch gültigen, das heißt: die zur Zeit – hier 1930 – gedruckten Texte als jeweilige Textgrundlagen für die GBA zu wählen. Das Stück hieß zunächst „Lindbergh“ im ersten Druck (1929), für die Uraufführung in Baden-Baden wählte Brecht den Titel „Der Lindberghflug“ (1929 und für den Druck schließlich „Der Flug der Lindberghs“ (1930). Die Anweisung, das Stück in „Ozeanflug“ umzubenennen, gab Brecht, als ihm 1949 bekannt wurde, dass Charles Lindbergh mit den Nazis collaboriert haben sollte (was nicht der Fall war). – Das Beispiel bezeugt zugleich den Versuch, historische Tatsachen nachträglich zu beseitigen. Brechts Umbenennung galt nicht rückwirkend; er wollte nur nicht – unmittelbar nach dem Krieg –, dass Lindberghs Name weiterhin in einem Stück von ihm „ins Heldenlied getragen“ würde. – Werner Hecht hat den Brief freigegeben und mich autorisiert, ihn gegebenenfalls zu publizieren. Er war von der Brecht-Erbin (s. Adresse) als offener Brief an die Mitarbeiter des „Brecht-Zentrums“, dessen Direktor Werner Hecht war, gedacht und sollte uns Herausgeber als Ignoranten bloßstellen. Er lag im Brecht-Zentrum bis zu dessen Umwidmung in ein Literaturhaus offen aus.


„Eine solche politische Schlamperei..“

Es war im Februar 1985, um Brechts Geburtstag herum, im Brecht-Keller. Ich setzte mich auf das freie Sofa mit dem großen ovalen Holztisch davor. Wir würden eine größere Gruppe werden. Als ich bestellen wollte, klärte mich der Ober, ein so genanntes Herren-Gedeck jonglierend, mit strengem Gesichtsausdruck auf, dieser Platz – genauer waren es mindestens zwei – sei reserviert. Werner Hecht, der Direktor des Brecht-Zentrums der DDR, kam hinzu, winkte ab, ja, das wäre der Platz von Barbara. Ich sollte aber sitzen bleiben, schließlich sei er der Herr des Hauses. Sie käme heute nicht; denn sie habe ihn mal wieder mit »böser, böser Hecht« tituliert, ein sicheres Zeichen, dass sie seine Gesellschaft meide. So wäre auch ich vor ihr sicher. Die Zusammenarbeit am neuen deutsch-deutschen Brecht-Projekt fing ja gut an.


Wir hatten gerade die Brecht-Tage 1985 hinter uns, die Verhandlungen über die Große Brecht-Ausgabe (= GBA) geführt und beschlossen, sie zum Vertrag zu bringen (Aufbau-Verlag Berlin/DDR, Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M., Ministerrat der DDR). Barbara, genauer Frau Brecht-Schall, die Tochter und Erbin Helene Weigels und Brechts, hatte der Edition endlich zugestimmt, war vom Verleger Siegfried Unseld großzügig (mit Devisen) bedacht worden (die Höhe verschwieg er) und hatte ihr Wohlwollen abgerungen, u.a. die Zusage, keine inhaltlichen Einsprüche zu erheben und ihre gesamten Unterlagen zum Werk Brechts den Herausgebern, auch uns »Westlern«, vorzulegen.

Die Geschichte um den Stammplatz im Keller gehört zur Geschichte des Hauses wie auch die Tatsache, dass dieses Haus, nur wenige Jahre nach seiner Eröffnung, eine zentrale Staats-Aufgabe erhielt: Die neue Brecht-Ausgabe mit allen Mitteln und mit allem Personal zu fördern.

Das Sofa im  Keller des Brecht-Hauses Berlin (Mitte; ehemals: Hauptstadt der DDR),  Chausseestraße 125 29.August 2020

Von links nach rechts: Ekkehard Schall, BBS, Honecker (in der Hand die Broschüre Brecht-Haus Berlin, hg. vom Brecht-Zentrum der DDR 1978), Hans-Joachim Hoffmann, Gisela May und Günther Mittag


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