„Am besten fickt man erst  und badet dann.“

Zürich 1947: Thomas Mann überrascht den

Rückkehrer aus dem Exil, Bertolt Brecht, mit zwei Aufmunterungen-


Fräulein Peachum hieß in dem ganzen Viertel allgemein der »Pfirsich«. Sie hatte eine sehr hübsche Haut. / Als sie vierzehn Jahre alt war, richtet man ihr das Zimmer oben im zweiten Stockwerk ein; wie die die Leute sagten, damit sie ihre Mutter nicht soviel zu Gesicht bekäme, die eine Vorliebe für Spirituosen nicht bezwingen konnte. Von diesem Alter an wurde sie auch Fräulein genannt und erschien zu bestimmten Zeiten im vordern Laden, besonders wenn Mitchgins vom Polizeirevier da war. Sie war anfangs vielleicht etwas zu jung für diese Verwendung, aber wie gesagt sehr hübsch.

Man denke, nebenbei gesagt, nicht etwa, der Pfirsich wäre im Hinblick auf die (wie gesagt winzigen) Gefälligkeiten gegen Mitchgins oder irgend jemand anderen erzogen worden. Im Gegenteil! Sie konnte sich an keine Zeit ihres jungen Lebens erinnern, wo sie in dem Badezuber der Waschküche (die Fenster wurden jedesmal verhängt) ohne ihr Nachthemd gebadet hätte. Herr Peachum hielt nichts davon, daß sie ihre nette Haut zu Gesicht bekam.


Da Thomas Mann nicht nur ein eifriger Romanschreiber, sondern auch ein ausgiebiger Romanleser war, wollte er offenbar seinen Kollegen, der im Gegensatz zu ihm nicht zur Kultur gehörte und im Exil weitgehend vergessen war, ermahnen: Er solle da anzuknüpfen, wo er 1933/34 zwangsweise aufgehört hatte. So gäbe es keine ernsthafte Konkurrenz mehr.

Thomas Mann erinnerte sich an den „Dreigroschenroman“ – die Oper ließ er nur als Operettchen gelten – und die vielen kleinen sexuellen Anspielungen, die auch er sich immer mal wieder gönnte. Also übersetzte er sie mal kurzerhand ins Konkrete und nannte dies vornehm: „ein Amplifizieren, Realisieren und Genaumachen des mythisch Entfernten, bei dem ich mir alle Mittel zunutze machte, die der Psychologie und Erzählkunst in sieben Jahrhunderten zugewachsen sind“. Das Ergebnis schmuggelte ein unbekannter Scherzbold dem BB postum in sein Archiv (BBA; Ost-Berlin). Erst 1982 kamen die ganzen Schweinereien unterm Namen des Herrn Brecht ans Licht der Öffentlichkeit. Die Kritik ließ sich nicht lumpen:



[E]s ist die Unbedenklichkeit männlicher Potenzallüren, die nun Brechts lyrische Schubladentexte – nein, nicht nur ärgerlich, sondern bedenklich bis widerlich erscheinen läßt, die traurig, wütend oder ratlos machen kann. – Drei Anlässe für eine solche Reaktion möchte ich nennen: Erstens das sexuelle Machtgefühl, das sich in frühen Gedichten bramarbasierend und brutal, in späteren paschahaft bis patriarchalisch ausdrückt und Zärtlichkeit nur im Ausnahmefall zuläßt; zweitens ein ebenso männlichkeitsbewußtes, herrenwitznahes Schmunzeln, das allen gelungenen Verkehr lyrisch verklären soll; und schließlich die sicher am schwersten zu belegende Ahnung, daß hier nämlich keine befreite Sexualität spricht, sondern da eher (potent und schmunzelnd) gegen ein unterdrücktes Schmutz-, ja Sündenbewußtsein angedichtet wird.



Reinhard Baumgart, Baal auf Balz, in: Der Spiegel (Hamburg), 6. Dezember 1982, S. 214-218, hier S. 215.



Der Kritiker war leider noch zu einer Zeit geboren worden, als er noch nicht ahnen konnte, dass das digitale Zeitalter noch ganz andere Möglichkeiten erfände, entscheidende weibliche Regionen so zu präsentieren, dass sie auf den ersten Blick jugendfrei erscheinen. So schuf Man Ray in den späten zwanziger Jahren die Rayographen, nach einem raffinierten Fotoverfahren ohne Kamera, allein mit Licht. Hier der Pfirsich, der für Brechts „Dreigroschenfilm. Die Beule“, genauer für Polly, das poetische Bild liefern sollte. Ihr „entzückender Hintern“ kommt zur vollen Blüte und hat Folgen.


Liebe auf den ersten Griff

Die Old Oakstraße, eine krumme Zeile baufälliger Lagerhäuser, Kornspeicher und Mietshäuser, führt an einem schmutzigen Kanal entlang, über den einige Holzbrücken laufen, von denen die größte die St.-Georges-Brücke ist. An einem frühen Nachmittag aus dem in dieser Straße liegenden Bordell »Zum Sumpf von Drury Lane« tretend, erblickt Herr Macheath ein Mädchen beim Bierholen, das ihn innerhalb weniger Stunden an den Traualtar und vor Ablauf weniger Tage in die nächste Nähe des Galgens bringen soll. Er sieht sie nur von hinten. Er folgt ihr auf der Stelle und weiß: diesen entzückenden Hintern wird er heiraten. Ein kleiner Volksauflauf um einen schäbigen Moritatensänger am Ende der Straße gibt ihm Gelegenheit, Fräulein Polly Peachum menschlich näherzutreten. […] An einer bestimmten Stelle des Liedes, die diese Unbeweisbarkeit traurig und bewundernd betont, erlaubt sich Herr Macheath einen höchst bedenklichen Trick: hinter dem bewunderten Mädchen stehend, faßt er plötzlich über den Nacken den schmalen Hals mit Daumen und Mittelfinger – allzu geübter Griff eines Verführers der Docks.


Die Ergebnisse fallen je nach Gattung und Kunsthandwerk sehr verschieden aus, lassen aber die entscheidenden Formen in jedem Material mit ein wenig Fantasie oder Andacht und Ehrfurcht erkennen und anerkennen.















Nachdem Kunst und Poesie so viele Jahrzehnte vorgearbeitet hatten, war es nur eine Frage der Zeit, den entzückenden Hintern – Brecht sei’s gedankt – in die Reihe der neuen digitalen Bilder- und Symbolsprache zu übersetzen,

wie es denn mit dem Pfirsisch-Emoji geschah.


Das „Pfirsich“ ist ein Bild einer Frucht, die von vielen geliebt wird. Es ist ein Emoji der zahlreichen Obst-Emojis. Wie alle anderen fruchtbezogenen Emojis erscheint dieses Emoji oft im Zusammenhang mit gesunder und schmackhafter Ernährung. Manchmal wird er auch als Kompliment für das Aussehen einer Person verwendet. Und schließlich wird er aufgrund seiner charakteristischen Form manchmal im Sinne

eines attraktiven Gesäßes benutzt.


2016 ereignete sich die Katastrophe. Mit der Version des Betriebssystems iOS 10.2 veränderte APPLE den Pfirsich und nahm ihm – „realistisch drehend und färbend“ – die LEIDENSCHAFT:














Kommentar:

Gut, das ist ein Pfirsich; aber wo bleibt der ARSCH?

Die Überarbeitung des Pfirsichs versetzte die USER in helle Aufregung. Er sah plötzlich aus wie ein wirklicher Pfirsich: ebenmäßig, nur rund, smart, keimfrei – und ohne Hinternsinn.

Daraus lernen wir: Je symbolhafter, improvisierter und abstrakter ein Zeichen-Bild ausgestattet ist, desto mehr Spielräume gibt es für die User. Das eben ist der Sinn von Sprache und ihren Bildern: Brechts Pfirsich enthält im Bild – ich zähle nur die einschlägigen Bedeutungen auf –: die schöne, zarte Haut der Polly, ihre entzückende weibliche Ausstattung (trotz ihrer Eltern), ihre Funktion für das Geschäft des Vaters wie auch gegenüber seinen „Gesellschaftern“, ihr Geschlecht als Ware, ihre Reduktion auf einen „Teil“ (nach dem „Hochzeitslied für ärmere Leute“) – und, und, und. Beflügelt man noch die männliche Fantasie, z. B., was geschieht, wenn man in den Pfirsich hineinbeißt – so öffnen sich weite Felder. – Ergebnis der USER-Revolte: Apple drehte den Pfirsich zurück.:

Hier die Stadien:









Genug der Sauereien; besser noch einmal zum Nachlesen und erfreuen: die Sonette (die Edelform der klassischen Poesie) von Thomas Mann in der originalen Überlieferung. Zu beachten ist beim Engel-Gedicht (bitte an „Tonio Kröger“ und seinen Verfasser denken): Der Engel ist, grammatisch gesehen, männlich, er hat tatsächlich Flügel und ist folglich kein symbolisches Putchen, sondern ganz real. Wie schon bei Goethe: die „vollendeteren Engel“: „Uns bleibt ein Erdenrest / Zu tragen peinlich / Und wär‘ er aus Asbest / Er wird nicht reinlich.“ (Faust II, Verse 11954-57).



https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_15052836/-ueber-die-verfuehrung-von-engeln-von-bertolt-brecht.html

https://www.welt.de/kultur/article1931546/Bertolt-Brecht-erklaert-die-Verfuehrung-von-Engeln.html

https://www.zeit.de/1996/04/Murx_den_Brecht_/////// Die Collage stammt von Gisela Großklaus, Karlsruhe, 2009.


Die voranstehenden Links weisen die Publikation der Texte nach; hier wird nur zitiert, ganz abgesehen davon, dass bei den Brecht-Erben immer noch umstritten ist, ob sie BB hintern ihnen vermuten sollten oder nicht. Die Entscheidung überlassen wir den Nachgeborenen.


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