Betr: »Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm« (2018) ║ Prädikat»Besonders wertvoll« ║ erneute Ausstrahlung über 3sat am 27.02.2021 ║
Verdacht auf antisemitische Tendenzen ║ Verwendung von Nazi-Folklore, die beim >Anschluss< Österreichs Einsatz fand ║ Unglimpfung von historischen Personen (Frauen) ║ Anachronismus▐
Der Film »Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm« von 2018 verstößt mehrfach gegen die Bewertungs-Kriterien, die der >Deutschen Film- und Medienbewertung. FBW< zugrundeliegen und nach denen sie dem Film das Prädikat »Besonders wertvoll« erteilt hat.
Aus politischen Gründen sollte überprüft werden, ob die FSK den Film für Kinder ab 6 Jahren freigeben durfte und dass er zur besten Sendezeit, dazu an einem Samstag, um 20:15 Uhr, (erneut) gezeigt werden soll. Eigentlich als Kinofilm angekündigt, erscheint er nun innerhalb von zwei Jahren mehrfach im Fernsehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
https://pressetreff.3sat.de/programm/dossier/mappe/zeige/Special/aktueller-denn-je-ein-abend-zu-bertolt-brechts-dreigroschenoper/
Die Hauptfigur des Films, der gesellschaftskritische, weltweit wirksame deutsche Universal-Dichter Bertolt Brecht, dessen Namen die offizielle Pressemitteilung von 3sat immer noch nicht korrekt zu schreiben vermag, sowie seine Vertreibung durch die Nazis aus seiner Heimat werden in anachronistische (zum Teil nationalsozialistische) Zusammenhänge gerückt. So entsteht der Verdacht, dass entweder ignorante oder unterschweillig nationalistische Geschichtsklitterung vorliegt. Die filmische Darstellung des Autors und seines Werk erscheint als eine ästhetisch-misslungene bis grobe Verunstaltung der Tatsachen. Die mit großem Aufwand – und in der Ausführung, von den SängerInnen abgesehen, qualitiativ ausgezeichnete – avantgardistische (und provokante) Musik von Brecht/Weill ist fast durchgehend zu billigen Unterhaltungszwecken eingesetzt. Zeitgenössisch galt sie in einflussreichen konservativen Kreisen als >Niggermusik<, die gesamte Oper als >literarische Leichenschändung<. Davon gibt es im Film, der modischem Starkult huldigt, nicht die Spur einer Andeutung.
Die schiefe bis falsche Pressemitteilung (gezeichnet Jessica Zobel; link: s.o.) legt nahe, dass die Veranstalter in den Sendern unzureichend, wenn nicht grob fahrlässig, über diesen Film sowie vielleicht auch über die anschließende Dokumentation (?) unterrichtet sind. Das Foto, das als Aufmacher eingesetzt ist, zeigt Hannah Herzsprung (als Carola Neher) ausgerechnet in einem Ausschnitt, als sie einen nicht zur Oper gehörigen Song (>Surabaya-Johnny<) vorträgt. Die Schriftstellerin und vielfache Mitautorin Brechts sowie dessen Nachlassverwalterin Elisabeth Hauptmann erscheint als »Lebensgefährtin« Brechts, was in heutigen Zeiten als offene Diskriminierung zu qualifizieren ist. Brecht wird als »Dramaturg« bezeichnet, sodass zu vermuten ist, dass die Presseabteilung(en) der Sender noch nicht einmal den Unterschied zwischen Dramatiker und Dramaturgen kennen.
1. Die antisemitische Tendenz in der Darstellung der Figur des Produzenten der NERO, Seymour Nebenzahl (als Nazi-Vertriebener schrieb er sich im Exil bewusst und zur Abgrenzung: Nebenzal). Er war u.v.a. Produzent des Filmklassikers »M«. Die Filmforschung spricht von "Fälschung mit Methode" und "skandalöser Diffamierung" eines Nazi-Opfers. Hier einige Zitate aus dem Aufatz von Helmut G. Asper im „Dreigroschenheft“, Augsburg, Heft 1, 2021, S. 20-36 (der Aufsatz wurde referiert von Alois Knoller in der Augsburger Allgemeinen vom. 16.01.2021, u.a. mit dem Satz: "Joachim Langs Mackie-Messer-Film verbreitet dreiste Lügen".
"In frei erfundenen Szenen stellt er [der Film den Protagonisten Nebenzahl] als schmierigen Geschäftsmann dar – so haben schon die Nationalsozialisten den jüdischen Filmproduzenten gebrandmarkt, bevor sie ihn im März 1933 verjagt und seine Filme verboten haben – was notabene Lang ebenso verschweigt wie die Tatsache, dass Nebenzahl einige der bedeutendsten deutschen Filme der Weimarer Republik produziert hat." (S. 21) / "Das [die Vermischung von Zitaten] wäre in einer Fktion durchaus hinzunehmen, wenn Lang nicht dieses verfälschte Bild als historische Wirklichkeit ausgeben und sein Puzzle nicht dazu benutzen würde, um Nebenzahl und seine Nero Film zu diffamieren." (S. 22) / "Durch diese fortgesetzten Manipulationen von Lang entsteht ein falsches, sehr idealisiertes Bild von Brecht – und ein ebenso falsches, allerdings gänzlich negativ verzerrtes von Nebenzahl. Mit dem Hinweis im Vorspann, dass alle Äußerungen von Brecht auf authentischen Zitaten beruhen, suggeriert Lang dem unvoreingenommenen Publikum, dass er in seinem Film ein historisch wahres Bild der Personen und ihres Streits zeichnet. Fatalerweise hat seine Methode Erfolg, sogar Filmkritiker nehmen Langs Film als bare Münze [folgen Beispiele; S. 24].
2. Die Darstellung der Figur von Carola Neher in der Szene >Ballhaus< (Filmlänge 11.22-12:55) erfüllt den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB). Die Szene ist eine reine Erfindung der Filmemacher und verfälscht zugleich Brechts »Grabschrift für (nicht: auf!) C N« - eine Hommage Brechts an die 23-jährige (sie war 28!) - als geradezu >besessene< Schauspielerin, geschrieben von Brecht während der Proben zur Oper 1928, weil sie nicht WEILL singen wollte (in Maschinenschrift überliefert und nicht im Notizbuch wie im Film dargestellt). Überdies wird ein prominentes Stalin-Opfer nachträglich verhöhnt.
3. Der Film zitiert - ebenfalls in der Ballhaus-Szene - anachronistisch (von 1937 in eine diffuse Zeit zwischen Winter 1928/29 bis nach Mai 1930 vorverlegt) – Nazifolklore aus einem von der Goebbels-Zentrale prämierten Nazi-Kampf-Film mit dem Titel >(Die) Warschauer Zitadelle<, Prädikat des >Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda<: "staatspolitisch wertvoll". Gesungen von den Metropol Vocalisten (= 5 Parodisters), der Gesangstruppe, die die Lücke der von den Nazis vertriebenen Comedian Harmonists >füllte<. Der NS-Film, der am historischen Beispiel (Polen) einen „Freiheitskampf“ zum Inhalt hat, wurde direkt zum Anschluss Österreichs (13. März 1938) dort flächendeckend (sowie auch im Reich) als Parallele zur angeblichen Befreiung der neuen Ostmark durch die Nazis eingesetzt.
4. Der Einbau von gefälligen Rhythmen, die von den Nazis sehr gezielt zur Stimmungsmache missbraucht wurden, ist besonders perfid, (a) weil das Hoppla-Lied ab April 1938 im >angeschlossenen< Österreich mit der >Warschauer Zitadelle< unmittelbar nach der Besetzung Österreichs in den Kinos als scheinbar apolitischer Schlager und in der Öffentlichkeit in der Funktion von Kraft-durch-Freude-Musik zur Ablenkung von Terror Einsatz fand, (b) weil Musik bekanntlich unterschwellig, unbewusst wirksam ist und (c) weil bei einem Film, der einen Opernstoff und dessen Songs umsetzt, weit hergeholte Musik-Stücke ergänzt werden, der bei einem Überangebot an zum >Stoff< gehöriger Musik keinerlei Bedarf dafür hat.
5. Der Film baut zusätzlich Musikstücke von Brecht (ursprünglich nicht von Weill!) ein, die Brecht entweder für eine Verfilmung nie vorgesehen oder ausdrücklich ausgeschieden hatte.
6. Der Film verwendet falsche Zitate oder zitiert ungenau oder verfälscht Zitate in ihr Gegenteil, und dies bei einem Autor, der sprachlich sehr genau war. Am auffälligsten ist der BB zugeschriebene zentrale Marx-Satz über die Philosophie als ONANIE (geschrieben 1845/46, im Film von BB spontan vor Gericht 1930 erfunden), und dies nicht nur im Film (1:36 = Gerichtsszene), sondern auch in der groß aufgemachten Presseheft.
7. Von den künstlerischen Mängeln, z.B. besonders eklatant: vom Song der »Seeräuber-Jenny« mit dem >Marsch des Elends< (Brecht in seinem Treatment) parallel zu schneiden, ist hier zu schweigen; nur zu diesem Beispiel sei gesagt: Die Filmemacher erkannten noch nicht einmal die sozialen Bezüge von Stück und Brechts Treatment: die im Dunkeln sieht man nicht - diese sollten hier, als Alptraum des Polizeipräsidenten, filmisch sichtbar werden, aber ausdrücklich >kein Gesicht< haben, wie im Film; und es sind keine >Revolutionäre<, und sie sehen durchaus nicht gleich aus: Gesichtsrosen sind äußerst individuell).
8. Über die Ästhetik des Films sei nur grob zusammengefasst gesagt: Kostüm-BUNT-Filme dieser Sorte haben Brecht z.B. zum Abbruch der Courage-Verfilmung in der DDR veranlasst; das spezifische Verfahren der Verfremdung Brechts wird nicht mit heute bereit stehenden Mitteln umgesetzt; den Songs – bei künstlerisch herausragender Umsetzung sowohl durch Gruber als auch durch die Ausführenden – sind sämtliche gesellschaftkritischen Stachel vom Regisseur (in Vollzug der Auflagen von Brecht- und Weill-Erben) gezogen worden, die sie zu Brechts Zeiten hatten. Die Kampagnen von christlich Konservativen, politisch Reaktionären sowie von den Nazis, die unmittelbar nach der Uraufführung der »Dreigroschenoper« gegen sie einsetzten (September 1928!), kommen nicht einmal andeutungsweise vor. Für die Nazis war die »Dreigroschenoper« das »jüdische Schmutzstück« par excellence und wurde bei jeder unpassenden Gelegenheit als Beispiel für die >jüdische Zersetzung< deutscher Kultur angeführt.
9. Brechts berühmter Verfremdungseffekt, die Publikumsansprache, wird verunstaltet, als Lars Eidinger gleich zu Beginn – sozusagen als >Sehanleitung für den gesamten Film – süffisant zu den imaginären ZuschauerInnen den Satz spricht: »Wer die Handlung nicht gleich begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen, sie ist unverständlich. Wenn Sie nur etwas sehen wollen, was einen Sinn macht, müssen Sie auf das Pissoir gehen.« Der Macho-Satz ist heute – witzig gemeint – nur peinlich bis diskriminierend, weil er ja auch die Frauen des Publikums anspricht, und zudem sprachlich verunstaltet. Bei Brecht steht »Sinn hat«. Die Formulierung gehorcht jedoch in dieser modischen Format heutigem Gebrauch, nämlich aus allem, was keinen Sinn hat, einen zu machen (was dann Meinungsfreiheit heißt). Das ist genau das Gegenteil von dem, was bei BB steht.
Wie der bereits zitierte Helmut G. Asper bemängelte, dass die Filmkritik – oder auch die Fernsehkritik – den anpreisenden Vorgaben der Filmemacher zu folgen geneigt seien, lässt der auch der Text der Urkunde, die das Prädikat »Besonders wertvoll« begründet, die Vermutung zu, dass dies auch für das Bewertungsgremium der FBW gelten könnte. In ihr steht >wiederspiegeln< statt >widerspiegeln<. Das Wort gibt es nicht; spiegelt aber eine der, wenn nicht die zentrale Kategorien der Ästhetik des Realismus wider und nicht >wieder<.
Prof. Jan Knopf Karlsruhe, Mittwoch, 24.Februar 2021
Meine Adressen u.a.:
https://abb.litwiss.kit.edu
https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Knopf
Zum Reichstagsbrand:
https://www.moz.de/nachrichten/kultur/silvester-1932_33-kannte-brecht-die-plaene-vom-anschlag-auf-den-reichstag_-48931420.html
https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article212962539/Wusste-Brecht-vorher-vom-Reichstagsbrand.html
https://www.presseportal.de/pm/59019/3825777
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1074493.reichspogromnacht-eine-silvesternacht-mit-folgen.html